Neue und alte Gewohnheiten

29.05.2020

Engagiert und von strengen Hygienemaßnahmen begleitet, kehrte der Hessische Landtag in der zweiten Plenarwoche im Mai zum gewohnten Ablauf zurück. Die Auswirkungen der von Bund und Land beschlossenen Maßnahmen gegen das Corona-Virus auf Wirtschaft und Gesellschaft bestimmten die Debatten – von der Kita- und Schulpolitik bis zur Frage nach dem Neustart der wirtschaftlichen und touristischen Aktivitäten. Im Zentrum vieler Diskussionen stand die Arbeit von Gesundheits- und Sozialminister Kai Klose und Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (beide Grüne), denen die Opposition schlechtes Krisenmanagement und  Konzeptlosigkeit vorwarf. Die Fraktion der Freien Demokraten reichte konstruktive und detailliert ausgearbeitete Anträge zu einer Vielzahl der im Landtag debattierten Themen ein. Es geht ihr darum, in strategisch geplanten Schritten verantwortungsvoll und in Zusammenarbeit mit den betroffenen Menschen wieder zur Normalität zurückzukehren.

Bildungschancen wahren – Kindertagesbetreuung öffnen

„Wenn Sie die Kitas im Stich lassen, lassen Sie unsere Gesellschaft im Stich!“ Der Fraktionsvorsitzende der Freien Demokraten im Hessischen Landtag, René Rock, übte zusammen mit den anderen Oppositionsfraktionen heftige Kritik an Sozialminister Kai Klose. Der grüne Minister habe sein Versprechen, das er in der vergangenen Sitzungswoche gegeben hatte, die Kitas ab 2. Juni für alle Kinder zu öffnen, gebrochen. Er lasse Kommunen, Träger und Eltern weiterhin im Unklaren darüber, wann und wie die Kindertagesbetreuung schrittweise in einen Regelbetrieb zurückgeführt werden könne. Die Freien Demokraten forderten auch deshalb personelle Konsequenzen. Erst am Dienstag hatten Eltern vor der Hessischen Staatskanzlei gegen die Pläne der Landesregierung zur Kita-Öffnung demonstriert. Mit dabei war auch René Rock – anders übrigens als Vertreter des schwarz-grünen Bündnisses. Sie hatten die Demonstration erst gar nicht besucht, die Bedürfnisse der Eltern nicht angehört.

„Unsere Jüngsten haben ein Recht auf die Rückkehr zu Bildung, Spaß und gemeinsamer Freizeit“, sagte Rock. Doch dieses Recht wird den Kindern in Hessen nach wie vor verwehrt. Es dürfen weiterhin nur Jungen und Mädchen die Kindertagesstätten besuchen, deren Eltern in systemrelevanten Berufen arbeiten, die einen besonderen Förderbedarf haben oder bei denen das Jugendamt die Betreuung als notwendig ansieht. So bleibt es aus Sicht der Freien Demokraten statt des angekündigten Übergangs in einen „eingeschränkten Regelbetrieb“ de facto bei einer „Notbetreuung plus“. „Sie spalten unsere Kinder in wichtige, sprich systemrelevante, und unwichtige Kinder“, warf Rock Klose vor.

Die Freien Demokraten wollen erreichen, dass wirklich alle Kinder wieder in die Kita gehen dürfen, wenn auch nur tageweise. Wie das schon ab dem 2. Juni gelingen kann, haben sie in einem Konzept dargelegt. Dieses sieht vor:

  • Feste Betreuungstage unter Berücksichtigung von Gruppengröße und räumlichen Gegebenheiten,
  • ein Muster-Hygieneplan für den Regelbetrieb,
  • ein pädagogisches Musterkonzept,
  • die wissenschaftliche Begleitung des eingeschränkten Regelbetriebs, anhand derer sich die schrittweise Ausweitung der Kapazitäten orientiert und
  • wöchentliche Tests der Erzieherinnen und Erzieher sowie des weiteren Personals.

„Niemand kann verstehen, dass die Landesregierung für jeden Salzstreuer in einer Pizzeria Vorschriften macht, aber sich um Kitas nicht kümmert“, ärgerte sich Rock. Das Recht der Kinder auf Bildung, die Entlastung der Familien durch Betreuung und die medizinischen Erkenntnisse der entsprechenden Fachgesellschaften seien essenzielle Argumente dafür, dass der Betreuungsanspruch zumindest tageweise wieder für alle Kinder erfüllt werden müsse.

Wirtschaftsminister aus der politischen Quarantäne holen

Hessens Wirtschaft steckt in Folge des Corona-Lockdowns in ihrer größten Krise seit Gründung des Bundeslandes. Hier ist der Wirtschaftsminister gefordert – doch dessen Engagement ist für die Opposition im Hessischen Landtag bisher nicht zu erkennen. „Tarek Al-Wazir scheint sich in politischer Quarantäne zu befinden!“, mutmaßte der wirtschaftspolitische Sprecher der Freien Demokraten in der von seiner Fraktion beantragten Aktuellen Stunde. In dieser forderte Stefan Naas den Wirtschaftsminister auf, seine Corona-Selbstisolation zu beenden und sich um seine Kernaufgabe zu kümmern. „Tarek Al-Wazir äußert sich eifrig zu Geh- und Radwegen, zu Fluglärmausgleich und Wohnen über dem Supermarkt. Auf der Internetseite des Wirtschaftsministeriums ist die grüne Welt noch in Ordnung. Von Wirtschaftskrise keine Spur“, konstatierte Naas mit Blick auf die 61 seit Ausbruch der Corona-Krise veröffentlichten Pressemitteilungen des Wirtschaftsministeriums. „Aber jetzt geht es nicht mehr um grüne Wohlfühlthemen, sondern um das Rückgrat unserer Wirtschaft in Hessen“, sagte er in Richtung des grünen Ministers.

Naas verwies auf die Lufthansa, den größten privaten Arbeitgeber in Hessen, der ums Überleben kämpfe. Diese Beispiele setzte er fort: Zur Fraport, dem Herzmuskel der hessischen Wirtschaft, schweige der Minister, während sich die grüne Umweltministerin Hinz über den Rückgang der Emissionen freue. Ebenso wenig mache Al-Wazir Vorschläge für die Bahn, für Busunternehmer oder die Frankfurter Messe. Zum Autogipfel sei Hessen vom Bund erst gar nicht geladen worden, trotz Volkswagen und Opel. Schließlich forderte Naas den Wirtschaftsminister auf, mehr eigene Anstrengungen zur Bewältigung der Coronakrise zu unternehmen: „Hessen braucht jetzt einen aktiven Wirtschaftsminister!“

Hessen als Urlaubsland vermarkten

Angesichts der durch die Corona-Pandemie eingeschränkten Reisemöglichkeiten sehen die Freien Demokraten eine sehr gute Möglichkeit, Hessen als Urlaubsland zu vermarkten. „Die gegenwärtigen Reisebeschränkungen sind ein willkommener Anstoß, die Tourismuspolitik in Hessen auf eine neue, aktive und moderne Grundlage zu stellen“, betonte Wiebke Knell in der von ihrer Fraktion beantragten Debatte. In ihrem Antrag namens „Hessen ist schön“ forderten die Freien Demokraten die Landesregierung auf, eine entsprechende Kampagne durch die Hessen-Agentur gemeinsam mit dem Hessischen Tourismusverband zu initiieren. „Wir wollen Hessen in der Mitte Deutschlands und Europas als wunderschöne Destination mit hohem Erholungswert neu vermarkten. Von einer stärkeren Nachfrage sollen dann auch die im Tourismus tätigen Kommunen und Verbände sowie die Hotellerie und Gastronomie profitieren“, erklärte Wiebke Knell.

„Wir haben in Hessen eine Fülle von landschaftlichen, historischen, kulturellen, sportlichen und gesundheitsfördernden Angeboten und Attraktionen. Vom Edersee im Norden bis zum Odenwald im Süden, von der Rhön im Osten bis zum Rheingau im Westen, von Städten wie Kassel und Fulda über Marburg und Limburg bis zu Frankfurt, Wiesbaden und Darmstadt. Wir müssen unsere Kommunikation nur bündeln, professionalisieren, qualitativ unterstützen und offensiv vermarkten“, erläuterte die tourismuspolitische Sprecherin der Freien Demokraten das Vorhaben.
Die hessischen Reiseziele sollten in und außerhalb Hessens und Deutschlands mit Online-Aktivitäten in mehreren Sprachen, Großflächenplakaten, Anzeigen sowie Radio- und Fernsehwerbung beworben werden.

Typengenehmigung einführen, Bauordnung lockern

Schon vor dem Corona-bedingten Lockdown von Wirtschaft und Gesellschaft war der Wohnungsmarkt in Hessen extrem angespannt. Durch zunehmende Bürokratie ziehen sich Baugenehmigungsverfahren immer weiter in die Länge, die Kosten für Miet- und Eigentumswohnungen steigen seit Jahren in enorme Höhen. Um den Wohnungsbau anzukurbeln, hat die Fraktion der Freien Demokraten deshalb bereits im vergangenen Sommer einen Gesetzentwurf zur Änderung der Hessischen Bauordnung vorgelegt, der in dieser Woche gemeinsam mit einem von der Landesregierung vorgelegten Gesetzentwurf in zweiter Lesung beraten wurde.

Die Idee der Freien Demokraten: die Baugenehmigungsverfahren mit der sogenannten Typengenehmigung für bauliche Anlagen zu entbürokratisieren und zu verkürzen. Eine Idee, von der sich auch die Landesregierung hat überzeugen lassen und in ihren Gesetzentwurf aufgenommen hat. „Mit der Typengenehmigung bringen wir das serielle Bauen in Hessen voran. Die zusätzlichen Wohnungen, die dadurch entstehen können, haben mietpreisdämpfende Wirkung“, freut sich Jürgen Lenders.

Insbesondere durch die Folgen der Corona-Krise würden Investitionen in Zukunft mit einem noch stärkeren Blick auf die Kosten getätigt werden, warnte der wohnungsbaupolitische Sprecher der Freien Demokraten: „Durch die Folgen der Corona-Krise werden Investitionen in Zukunft mit einem noch stärkeren Blick auf die Kosten getätigt werden. Da muss der Staat alles tun, um Bauen und Investieren zu erleichtern. Genehmigungen müssen unkompliziert und rasch erteilt werden“, sagte er. Schließlich wurde der von der Landesregierung vorgelegte Gesetzentwurf in veränderter Form und damit die Typengenehmigung mit großer Mehrheit vom Landtag beschlossen und so das das Bauen mit vorgefertigten Serienteilen und im Baukastensystem erleichtert.