Mehr Freiheit wagen

30.04.2021

Während in Hessen seit dieser Woche erstmals eine flächendeckende Ausgangssperre ab 22 Uhr gilt, tagte der Hessische Landtag an allen drei Tagen bis spät in den Abend. Dabei gab nicht nur das neue Infektionsschutzgesetz, das Hessen am Freitag zuvor trotz massiver Bedenken im Bundesrat hatte passieren lassen, Anlass zur Debatte. Auch die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Corona-Politik wurde diskutiert – ebenso wie die Frage, inwiefern das Land Schülerinnen und Schüler dabei unterstützen kann, die in der Krise durch Wechsel- und Distanzunterricht entstandenen Lernrückstände wieder aufzuholen. Zahlreiche Initiativen der Opposition standen auf der Tagesordnung, unter anderem Gesetzentwürfe für ein Open-Data-Gesetz und eine Reform der Grundsteuer. 

Vom Lockdown in die Freiheit 

Nur wenige Tage nach Inkrafttreten der umstrittenen Bundes-Notbremse gab Ministerpräsident Volker Bouffier erneut eine Regierungserklärung zum Vorgehen Hessens in der Corona-Krise ab. Darin zweifelte er, wie schon bei seiner Rede im Bundesrat, die Rechtmäßigkeit und die Wirksamkeit der im Infektionsschutzgesetz geregelten Ausgangssperre an. Die Opposition kritisierte ihn dafür in der sich anschließenden Debatte scharf. René Rock warf dem Ministerpräsidenten Inkonsequenz und Mutlosigkeit vor. Auch die Einschätzung des Regierungschefs zu den von der Landesregierung getroffenen Maßnahmen des Testens, Impfens und Nachverfolgens teilte er nicht. „Weder das Impfen und das Testen, noch das Nachverfolgen klappen auch nach über einem Jahr Corona-Pandemie so, wie es sein müsste“, konstatierte der Fraktionsvorsitzende der Freien Demokraten. Hessen sei Letzter im Impfranking der Bundesländer, habe das Testen ebenfalls nur schleppend vorangetrieben und bei der Nachverfolgung von Kontakten viel zu lange auf Zettelwirtschaft statt digitale Lösungen gesetzt. Rock appellierte dafür, die Corona-Politik auf Basis weiterer Indikatoren als nur auf Basis der Inzidenz zu gestalten. „Derzeit testen wir uns in den Lockdown. Stattdessen brauchen wir eine Strategie, um uns schrittweise in die Freiheit zu testen und Geimpften ihre vollen Rechte wiederzugeben“, forderte Rock.

Insbesondere Hessens Schülerinnen und Schüler sind von den Regelungen der Bundes-Notbremse betroffen. Während zuvor zumindest die jüngeren Jahrgänge tageweise die Schule besuchen durften, wird in der Mehrheit der hessischen Landkreise nun wieder in Distanz unterrichtet. Moritz Promny machte darauf aufmerksam, dass unter den Schulschließungen insbesondere bildungsbenachteiligte Schülerinnen und Schüler zu leiden hätten. „Wir dürfen nicht riskieren, dass sich große Lücken durch die gesamte Bildungsbiographie dieser Schülerinnen und Schüler ziehen und ihnen Lebenschancen genommen werden“, forderte der bildungspolitische Sprecher der Freien Demokraten. Seine Fraktion machte die in der Pandemie entstandenen Lernrückstände zu ihrem Setzpunkt dieser Sitzungswoche. Die Freien Demokraten regten ein Konzept der offenen Schule – ähnlich der Notbetreuung – für benachteiligte Schülerinnen und Schüler an. „Eine offene Schule heißt nicht Unterricht, sondern Begleitung beim Lernen und ein Lernplatz in der Schule“, erläuterte Promny die Idee. Darüber hinaus unterbreitete er weitere Vorschläge, wie den Schülerinnen und Schülern geholfen werden könne: mit digitalen Schuljahren, einem Lernbuddy-Programm, einem Förderprogramm unter Berücksichtigung privater Nachhilfe-Institute und dem Einsatz von digitalen Systemen zur Überprüfung des Lernerfolgs.

Demokratie braucht Auseinandersetzung und Kritik

Die Aktion #allesdichtmachen, mit der rund 50 Künstlerinnen und Künstler in ironischer und teils sarkastischer Form Kritik an der Corona-Politik und der medialen Berichterstattung übten, sorgte für eine kontroverse Debatte in der Gesellschaft. Während die Aktion bei einigen großen Zuspruch fand, sorgte sie bei anderen für Empörung. Als Reaktion darauf distanzierten sich einige Mitwirkende wieder von der Aktion und sahen sich sogar gezwungen, ihre Videostatements wieder zu löschen, nachdem ihnen vorgeworfen worden war, mit ihren Beiträgen Verschwörungstheoretikern, Querdenkern und neuen Rechten in die Hände zu spielen. 

„Die Grundlagen unserer Demokratie wie Meinungsfreiheit, Kunstfreiheit und Freiheit der Wissenschaft stehen unter Druck“, sagte Jürgen Lenders zu Beginn der von den Freien Demokraten beantragten Debatte im Hessischen Landtag. „Nicht die Argumente der Schauspielerinnen und Schauspieler spielen den Neurechten, Verschwörungstheoretikern und Querdenkern in die Hände. Ihnen spielt in die Hände, wenn man sich mit Argumenten nicht mehr kritisch auseinandersetzt.“ Der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion der Freien Demokraten machte sich im Plenarsaal für eine offene und demokratische Gesellschaft stark. Sie brauche eine konstruktive Diskussionskultur, Auseinandersetzung und Kritik.  

Open Data zum Standard machen

Die Freien Demokraten wollen mehr Daten der öffentlichen Verwaltung für die Allgemeinheit zugänglich machen. Einen entsprechenden Gesetzentwurf haben sie in dieser Woche in den Landtag eingebracht. Insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen und Start-Ups biete der freie und kostenlose Zugang zu Daten, kurz Open Data, der öffentlichen Verwaltung große Möglichkeiten, innovative Geschäftsmodelle umzusetzen, erläuterte Oliver Stirböck die Initiative seiner Fraktion. „Ich bin mir sicher, dass die hessischen Tüftler und Unternehmer gute Ideen für datengetriebene Apps und Dienstleistungen haben. Deshalb sollten wir die Daten aus den Schreibtischen und von den Festplatten der Verwaltung holen“, sagte der digitalpolitische Sprecher der Fraktion. Genutzt werden könnten solche Daten zum Beispiel für die Landwirtschaft: Mit offenen Geodaten werde zentimetergenaues Düngen möglich. Mit Umweltdaten, zum Beispiel zu Luftqualität, Wasserständen oder Biodiversität, könne die Landwirtschaft noch ‚smarter‘ werden. Auch im Tourismus könnten offene Daten interaktive Stadtführer-Apps ermöglichen. „Wir wollen öffentliche Daten nutzen, aber private Daten schützen“, erwiderte Stirböck etwaigen Bedenken. 

Grundsteuer einfach, sicher und transparent machen

Die Grundsteuer, teilweise auch Bodenzins genannt, ist eine Steuer auf Grundbesitz und eine der wichtigsten Einnahmequellen für die Kommunen. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das das derzeit geltende System wegen veralteter Werte für verfassungswidrig erklärt hat, muss sie in ganz Deutschland neu geregelt werden – auch in Hessen. Nachdem die hessische Landesregierung im vergangenen Jahr zwar erste Ideen für eine Grundsteuerreform vorgestellt hatte, bis heute jedoch kein Gesetz vorgelegt hat, haben die Freien Demokraten dem Landtag in dieser Woche einen eigenen Vorschlag unterbreitet. „Die Zeit drängt: Grundstückseigentümer, aber auch die hessischen Kommunen, brauchen bis 2025 eine verlässliche Grundlage zur Erhebung der Grundsteuer“, mahnte Marion-Schardt-Sauer an. „Unser Vorschlag bietet die Möglichkeit, die Grundsteuer ab 2025 verfassungsrechtlich sicher, einfach und unbürokratisch sowie transparent zu erheben.“ Der Gesetzentwurf der Freien Demokraten sieht ein sogenanntes Flächenmodell vor. Dieses orientiert sich an der Fläche des Bodens und des Gebäudes. Die Freien Demokraten wollen auf diese Weise Wohnbebauung privilegieren und übergroße Flächen berücksichtigen. „Die Höhe der Steuer richtet sich nur nach der jeweiligen Grundstücksfläche und der Gebäudefläche, der Nutzung sowie dem von der jeweiligen Kommune festgesetzten Hebesatz“, erklärte die finanzpolitische Sprecherin der Freien Demokraten. Vorschläge wie das sogenannte Scholz-Modell des Bundesfinanzministers, das den Wert der einzelnen Gebäude berücksichtigt, und den Vorschlag des hessischen Finanzministeriums, das die Lage mit einbezieht, halten die Freien Demokraten für zu bürokratisch und aufwändig. Während bei den beiden Modellen eine ständige Überprüfung und Anpassung der Berechnung der Grundsteuer zwingend vorzunehmen sei, sei dies beim Modell der Freien Demokraten nicht notwendig. „Die Erhebung nach unserem Flächenmodell schafft Verlässlichkeit für die Kommunen, die Eigentümer und somit auch für Mieter“, unterstrich Schardt-Sauer abschließend.