Ende einer Ära

08.06.2022

Zu Beginn der jüngsten Plenarwoche erklärte der dienstälteste Ministerpräsident Deutschlands, Volker Bouffier, nach zwölf Jahren im Amt seinen Rücktritt. Weil der bisherige Landtagspräsident Boris Rhein als sein Nachfolger auserkoren worden war, musste der Hessische Landtag in dieser Woche nicht nur ein neues Landesoberhaupt, sondern auch eine neue Spitze des Hohen Hauses wählen. In der CDU-Politikerin Astrid Wallmann ist nun erstmals eine Frau Präsidentin des Hessischen Landtags. Die Erwartungen an sie und an die neue Landesregierung sind insbesondere seitens der Opposition hoch. So wurde dann nach den Wahlen sofort wieder über Inhalte und die Zukunft des Landes gestritten.

Neues Kabinett, alte Herausforderungen

Mit 74 von 137 Stimmen wählten die Abgeordneten des Hessischen Landtags am Dienstag der vergangenen Woche Boris Rhein zum neuen Ministerpräsidenten des Landes Hessen. „Boris Rhein ist ein vernünftiger Mensch und erfahrener Politiker, von dem wir erwarten, dass er sofort an die Arbeit geht. Er ist nun aufgefordert, seinen politischen Kurs aufzuzeigen und Hessen aus dem Mittelmaß zu führen, das leider am Ende der Amtszeit von Volker Bouffier steht“, sagte René Rock im Anschluss an die zweite Ministerpräsidentenwahl der 20. Legislaturperiode. Volker Bouffier habe einige Baustellen hinterlassen, die nicht länger warten könnten. Als Beispiele nannte der Fraktionsvorsitzende der Freien Demokraten eine nach wie vor fehlende Klimaschutz-Strategie, eine vernachlässigte Wirtschaft sowie eine immer noch schleppende Digitalisierung.

Insbesondere im Bereich der Justiz hatten die Freien Demokraten immer wieder auf die Versäumnisse der Regierungsverantwortlichen hingewiesen. Entsprechend zufrieden zeigte sich die FDP-Landtagsfraktion mit der von Rhein vorgenommenen Umbildung des Kabinetts. „Es ist nur konsequent, dass Eva Kühne-Hörmann nicht länger die Verantwortung für das Justizministerium trägt“, erklärte Rock mit Blick auf die verschleppte Einführung der E-Akte, die große Personalnot in der hessischen Justiz sowie den Justizskandal um einen unter Korruptionsverdacht stehenden Frankfurter Oberstaatsanwalt. „Die bisherige Ministerin hat ziemlich viele Scherben hinterlassen.“ Als ihren Nachfolger an der Spitze des Justizministeriums ernannte Rhein den bisherigen Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt und des Hessischen Staatsgerichtshofes Roman Poseck. Er war es, der im vergangenen Sommer als oberster Richter des Landes der Klage von Freien Demokraten und SPD stattgegeben und das schwarz-grüne Corona-Sondervermögen für verfassungswidrig erklärt hatte. Die vor ihm liegenden Herausforderungen seien nicht wenige, mahnte Rock. „Poseck hat nun die große Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass Hessens Justiz im Bundesvergleich wieder nach oben kommt, als Arbeitgeberin attraktiv wird und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zurückgewinnt.“ 

Schwarz-grüner Bummelzug fährt letzte Schleife 

Doch nicht der neue Justizminister, sondern die gesamte Landesregierung steht vor gewaltigen Aufgaben, die es zu bewältigen gilt. Was er sich vorgenommen hat, schilderte der neue Ministerpräsident Boris Rhein in seiner ersten Regierungserklärung, für die sich die Abgeordneten eine Woche nach Rheins Wahl zu einer Sondersitzung trafen. Doch Rhein enttäuschte mit seinen Ausführungen: Zwar wurde vieles angesprochen, was die schwarz-grüne Landesregierung in den kommenden Monaten noch auf den Weg bringen wolle, zum Beispiel ein Integrationsgesetz, ein Demokratie-Stärkungs-Gesetz und ein Klimagesetz. „Da fragt man sich, was haben Sie eigentlich die letzten Jahre gemacht?!“, sagte FDP-Fraktionsvorsitzender René Rock in seiner Rede zur Regierungserklärung in Richtung der Koalition. Doch neue Impulse, tatsächliche Ideen für die Zukunft oder ein neuer Stil waren in Rheins Ausführungen nicht zu erkennen. „Der Ministerpräsident hat keinen Aufbruch verkündet, sondern das Programm zur geordneten Abwicklung von Schwarz-Grün in Hessen präsentiert. Schwarz-Grün reitet offenbar dem Sonnenuntergang entgegen“, erklärte Rock und hatte dafür auch einen wesentlichen Grund ausgemacht: Das Tandem aus Volker Bouffier und Tarek Al-Wazir sei Geschichte, und die Grünen griffen nach dem Amt des Ministerpräsidenten.

Ab sofort seien Rhein und Al-Wazir Rivalen, die sich jeweils profilieren müssten, stellte Rock mit Blick auf die Landtagswahl Ende kommenden Jahres fest. Das zeige sich unter anderem in der Aussage Rheins, die IAA zurück nach Frankfurt holen zu wollen – also jene IAA, die nach Auffassung der Freien Demokraten nach mangelndem Engagement von Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir und den Frankfurter OB Peter Feldmann nach München abgewandert war: „Dass Boris Rhein die IAA zurückholen will, ist sehr gut, macht aber auch die Konflikte in der Koalition beziehungsweise im Kabinett sichtbarer“, sagt Rock. Schließlich habe Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner die IAA noch als „Dinosaurier“ bezeichnet, dem man nicht nachtrauern müsse. Für Rock war klar: „Diese Landesregierung wird keine Regierung der Chancen sein, sondern eine Regierung der vertanen Chancen. Der schwarz-grüne Bummelzug fährt seine letzte Schleife.“

Digitale Bildung endlich voranbringen

Auch nach der Pandemie stehen Hessens Schulen in Sachen Digitalisierung nicht viel besser da als zuvor. So fehlt nach wie vor ein einheitliches Videokonferenzsystem, und auch die zur Verfügung gestellte Bildungsplattform lässt noch zu wünschen übrig. Der INSM-Bildungsmonitor zeigt, dass andere Länder beim Einsatz digitaler Technologien im Unterricht Deutschland meilenweit voraus sind. Und im innerdeutschen Vergleich steht Hessen gerade einmal durchschnittlich da. 

Die Fraktion der Freien Demokraten im Hessischen Landtag will Chancengerechtigkeit für alle Schülerinnen und Schüler erreichen und ist deshalb gemeinsam mit Experten aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft der Frage nachgegangen, inwieweit sich das Bildungssystem verändern muss, damit die Schule von heute auf die Welt von morgen vorbereitet. „Nur digitale Bildung ermöglicht beste Bildungs- und Teilhabechancen für alle“, zeigte sich Moritz Promny am Donnerstag im Landtag überzeugt. Mit einem Antrag forderte seine Fraktion die Landesregierung dazu auf, die Schulen zu einem guten Lernort zu machen. „Und da hat Hessen leider noch großen Nachholbedarf.“ Die Voraussetzungen, die geschaffen werden müssten, um digitale Bildung und somit Chancengerechtigkeit zu erreichen, seien enorm. Eine wesentliche, aber immer noch nicht erfüllte Voraussetzung sei der Ausbau der digitalen Infrastruktur. „Dazu gehören Gigabit- und WLAN-Anschluss ebenso wie technisch und pädagogisch geschulter IT-Support“, forderte Promny und erinnerte daran, dass nach wie vor ein Viertel der Schulen im ländlichen Raum nicht an das Gigabitnetz angeschlossen seien und Lehrkräfte noch immer die Rolle der „digitalen Hausmeister“ innehätten. Hierfür brauche es pädagogisch und technisch geschulte Fachkräfte. 

Eine weitere Voraussetzung sehen die Freien Demokraten im gezielten und verantwortungsvollen Einsatz Künstlicher Intelligenz: „Künstliche Intelligenz lässt sich auf vielfältige Art und Weise einsetzen – von der Bildungsverwaltung über die Klassenorganisation bis hin zur individuellen Förderung der Schülerinnen und Schüler“, betonte Promny in seiner Rede und forderte unter anderem die Einrichtung von KI-Innovationsschulen sowie einen Pool KI-gestützter Anwendungen. „Nur durch eine datengestützte Schulentwicklung können wir die Chancengerechtigkeit wirklich voranbringen.“ Schließlich müsse der Unterricht auch digital gestaltet werden. Dazu gehöre unter anderem die Einführung eines verpflichtenden Informatikunterrichts: „Der Blick auf die Deutschlandkarte der Gesellschaft für Informatik zeigt, dass Hessen mal wieder die rote Laterne hat. Hessen ist außer Bremen das einzige Bundesland, das weiterhin keinen Informatikunterricht in der Sekundarstufe I anbietet“, kritisierte Promny. Dass sich etwas verändern könne, habe beispielsweise Nordrhein-Westfalen gezeigt: „Dort wurde erst kürzlich, vor der Landtagswahl, ein verpflichtender Informatikunterricht eingeführt.“ 

Wohneigentum besser fördern

Der Traum vom Eigenheim rückt für viele Menschen auch in Hessen in immer weitere Ferne. Zum einen werden Immobilien – ob im Bestand oder im Neubau – seit Jahren zunehmend teurer, zum anderen ziehen auch die Bau- und Baunebenkosten momentan an. Und: Die Zinsen für Darlehen steigen nach Jahren wieder in die Höhe. Im Durchschnitt liegen sie derzeit bei 2,8 Prozent für zehnjährige Darlehen, was drei Mal so hoch ist wie noch vor einigen Wochen. Allein solch ein Zinsanstieg führt dazu, dass sich viele Menschen eine Baufinanzierung nicht mehr leisten können. 

Damit sich mehr Menschen in Hessen den Traum von den eigenen vier Wänden erfüllen können und um die Wohneigentumsquote zu steigern, hat das Land vor einigen Jahren Programme zur Förderung selbst genutzter Immobilien aufgelegt und bietet über die Wirtschafts- und Infrastrukturbank, der Förderbank des Landes Hessen, Darlehen an. Diese wurden in den vergangenen Jahren allerdings kaum angenommen, weil der Zinsvorteil gegenüber herkömmlichen Darlehen kaum oder gar nicht vorhanden war. Während im Jahr 2020 noch 104 Wohneinheiten im Neubau-Programm gefördert wurden, waren es im vergangenen Jahr nur noch 79. 

Mit dem aktuell steigenden Zinsniveau gewinnen die zinsverbilligten Darlehen des Landes nun aber wieder an Relevanz. Die Freien Demokraten haben sich deshalb in der vergangenen Woche im Hessischen Landtag dafür stark gemacht, dass die sogenannten Hessen-Darlehen überarbeitet und an aktuelle Bedingungen angepasst werden. „Wohneigentum schützt am besten vor explodierenden Mieten und ist die beste Altersvorsorge“, begründete Stefan Naas die Initiative seiner Fraktion. Der wohnungsbaupolitische Sprecher bewertet die Förderprogramme als unattraktiv, sie stünden einer erfolgreichen Wohneigentumsförderung unter anderem wegen langer Bearbeitungszeiten sogar entgegen. „Tarek Al-Wazir muss auf die WI-Bank zugehen, damit die Programme auf die Höhe der Zeit gebracht werden.“ So forderte forderte die Möglichkeit einer digitalen Antragstellung, kürzere Bearbeitungszeiten sowie die Anpassung der Förderbedingungen an höhere Einkommensgrenzen und insgesamt höhere maximale Darlehenssummen. Mit Verbesserungen wie diesen kann die Eigenheimquote in Hessen gesteigert werden.