Das Land ist nicht genug

15.12.2021

Während in Berlin die Ampelregierung ihren Dienst angetreten hat, ist in Wiesbaden der Hessische Landtag zu seiner letzten regulären Sitzungsrunde in diesem Jahr zusammengekommen. Zur Debatte standen nicht nur das Infektionsschutzgesetz und die Möglichkeiten Hessens zur Bekämpfung des Corona-Virus, sondern auch der Haushaltsplan für 2022. Die Beratungen waren insbesondere von Diskussionen über die Abwicklung des Corona-Sondervermögens, mit dem die schwarz-grüne Landesregierung im 75. Jahr ihres Bestehens gegen die Hessische Verfassung verstoßen hatte, geprägt. In einer Aktuellen Stunde musste sich die Landesregierung gegenüber der Opposition dazu erklären – denn nicht nur mit dem Schattenhaushalt, auch mit der Besoldung der Landesbeamten hatte Schwarz-Grün verfassungswidrig gehandelt, wie der Verwaltungsgerichtshof kürzlich festgestellt hatte. 

Corona-Debatte gehört ins Parlament

Nachdem der neue Bundestag die epidemische Lage von nationaler Tragweite Ende November hatte auslaufen lassen, hatten CDU und Grüne dem Hessischen Landtag ein Gesetz vorgelegt, mit dem sie den Beschluss einer landesweiten epidemischen Lage beabsichtigten. Ihrer Ansicht nach müsse das Land vorbereitet sein, wenn sich die Corona-Lage weiter verschlechtere. In seiner Regierungserklärung erläuterte Ministerpräsident Volker Bouffier seine Pläne, nach denen weitere Maßnahmen wie die Schließung von Freizeit- und Kultureinrichtungen, ein Alkoholverbot in der Öffentlichkeit oder Regelungen für Weihnachtsmärkte ohne weitere Beteiligung des Parlaments getroffen werden sollen.

In der Aussprache erklärte Fraktionsvorsitzender René Rock, warum die Fraktion der Freien Demokraten einem ‚Blankoscheck‘ nicht zustimmen könne. „Die Landesregierung muss Maßnahmen nicht nur juristisch, sondern auch im öffentlich tagenden Landtag gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern erklären und begründen, anstatt sich die maximale Anzahl an möglichen Verbots- und Einschränkungsmaßnahmen vorab genehmigen zu lassen und dann die Debatte für beendet zu erklären.“ Auch Rock ist überzeugt, dass das aktuelle Corona-Infektionsgeschehen umsichtige Reaktionen erfordere. Deshalb müsse vor allem die bisher schleppende Organisation der Booster-Impfungen, bei denen Hessen im Vergleich der Bundesländer auf dem vorletzten Platz vor Sachsen liegt, vorangetrieben werden. Bei den Auffrischungsimpfungen waren zum Zeitpunkt der Debatte bislang etwa 14 Prozent der Hessen erreicht worden, bei den über 60-Jährigen über 25 Prozent. „Die Lage müsste eigentlich grundlegend besser sein als vor vielen Monaten, aber auch nach mehr als eineinhalb Jahren Krise wiederholen sich die Fehler, anstatt dass sie abgestellt werden“, kritisierte Rock. Er rief die Landesregierung auf, die Impfinfrastruktur auszubauen, die Wirksamkeit von Maßnahmen zu evaluieren sowie die Ausstattung der Krankenhäuser und des öffentlichen Gesundheitsdienstes zu verbessern. Auch solle bereits jetzt eine Strategie entwickelt werden, um für die Omikron-Variante gewappnet zu sein. 

Nicht nur die Koalitionsfraktionen von CDU und Grünen, sondern auch SPD und Linke stimmten dem Antrag der Landesregierung zu, womit ab sofort die epidemische Lage in Hessen gilt. Nunmehr kann die schwarz-grüne Landesregierung wieder – ohne eine weitere Beteiligung des Parlaments – Corona-Maßnahmen verschärfen. 

Mehr Fortschritt auch in Hessen wagen 

Am Dienstag und Mittwoch standen die Beratungen zum Haushalt 2022 auf dem Programm. Eigentlich sollte dieser bis Jahresende verabschiedet werden. Nach dem Urteil des Staatsgerichtshofes wurden die Beratungen jedoch verschoben. Während die Landesregierung aktuell also vor allem noch mit der Überarbeitung des Etats beschäftigt ist, warben die Freien Demokraten für ein modernes, fortschrittliches und weltoffenes Hessen. „Unser Land braucht einen klaren Kurs und klare Ziele“, stellte René Rock fest. Vor diesem Hintergrund forderte der Fraktionsvorsitzende in der Generaldebatte größere Anstrengungen für eine Transformation der Wirtschaft, für Digitalisierung, Aufstiegschancen durch Bildung, wirksamen Klimaschutz, Integration sowie die Stärkung der Demokratie. Vonseiten der Landesregierung käme bei diesen Themen zu wenig. „Sie verspielt damit die Zukunftschancen der Bürgerinnen und Bürger“, sagte er. Die Freien Demokraten wollen nicht nur in Berlin, sondern auch in Hessen mehr Fortschritt wagen. Dafür sei eine solide Haushaltspolitik, die die Schuldenbremse achte, ebenso erforderlich wie eine effiziente Verwaltung und ein öffentlicher Dienst, der für Beschäftigte attraktiv sei und Recht und Gesetz wirksam und schnell umsetze.

Obwohl Hessen seit knapp drei Jahren eine Ministerin für Digitales habe, sei das Land in diesem Bereich in vielen Punkten weiterhin bundesweites Schlusslicht, Flickenteppich und Bedenkenträger statt Fortschrittsmacher. Da es für die Digitalisierung kein eigenes hessisches Ministerium und damit auch keinen eigenen Einzelplan gibt, meldete sich Oliver Stirböck in der Generaldebatte zu Wort. „Beim Mobilfunk, dem Gigabit-Ausbau, Open Data, 6G und in der Corona-Krise hat Hessen in der Digitalisierungspolitik nicht geliefert“, stellte der digitalpolitische Sprecher fest. Zur Beschleunigung der Verwaltungsdigitalisierung fordern die Freien Demokraten eine Open-Data-Strategie und dafür entsprechende finanzielle Mittel.

Auch im Bereich der Bildung gibt es nach Ansicht der Freien Demokraten deutlichen Nachbesserungsbedarf. In den Einzelplanberatungen attestierte auch der bildungspolitische Sprecher Moritz Promny der Landesregierung fehlende zukunftsweisende Ideen. „Kinder haben ein Recht auf Bildung. Wie die schwarz-grüne Landesregierung diesem Anspruch jedoch gerecht werden möchte, ist im vorliegenden Haushaltsentwurf nicht zu erkennen.“ Die Freien Demokraten wollen unter anderem Mittel bereitstellen, um innovative Raumkonzepte an Schulen zu fördern, zur Unterstützung der Lehrkräfte Künstliche Intelligenz ins Klassenzimmer zu bringen und die kulturelle Bildung zu stärken. 

Auch im Bereich der Wirtschaftspolitik würden die Freien Demokraten andere Schwerpunkte setzen. „Während das Land in der tiefsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg steckt, baut Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir munter weiter Stellen in seinem Ministerium auf“, kritisierte Dr. Stefan Naas. Dabei würde das Geld an anderen Stellen sehr viel dringender gebraucht: zum Beispiel im Tourismus und im Einzelhandel. „Beide sind von der Pandemie besonders hart getroffen worden. Anstatt Kredite braucht es echte Hilfen!“ Für eine innovative Wirtschaft und Gesellschaft brauche es darüber hinaus Blockchain-Förderung, Hightech-Promotionsstipendien und Gründungsbotschafter für Start-ups. 

Im Sinne einer modernen Klima- und Energiepolitik hatten die Freien Demokraten dem Landtag ein Wasserstoff-Zukunftsgesetz vorgelegt, das ebenfalls in dieser Woche beraten wurde und für dessen Umsetzung sie 25 Millionen Euro in den Landeshaushalt eingestellt haben wollen. „Wir wollen Emissionen senken, Technologien fördern und gleichzeitig Arbeitsplätze sichern sowie wirtschaftliches Wachstum ermöglichen“, erklärte der energiepolitische Sprecher René Rock dazu. 

Schließlich nahm Rock die Generaldebatte auch zum Anlass, eine Stellungnahme des Ministerpräsidenten über dessen eigene Zukunft zu fordern. „Der Ministerpräsident hat sich, auch bei der Bewältigung der Corona-Krise, als führungsschwach erwiesen. Er muss jetzt Klarheit schaffen, ob er erneut für das Amt des Ministerpräsidenten kandidieren will oder ob es bei der CDU einen Wechsel geben wird. Diese Klarheit ist wichtig – es geht nicht um die Partei, es geht um Hessen!“

Landesverfassung scheint Schwarz-Grün nicht besonders wichtig zu sein

Am 1. Dezember feierte die Hessische Verfassung ihr 75. Jubiläum. Doch just in diesem Jahr bestätigten Hessens Gerichte der Landesregierung verfassungswidriges Handeln. Nachdem der Staatsgerichtshof Ende Oktober das schwarz-grüne Sondervermögen für verfassungswidrig erklärt hatte, erklärte der Verwaltungsgerichtshof in der vergangenen Woche die Beamtenbesoldung der Jahre 2013 bis 2020 ebenfalls für verfassungswidrig. Der Umgang der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen mit ihren jüngsten juristischen Niederlagen hatte beim Vizepräsidenten des Hessischen Landtags, Dr. h. c. Jörg-Uwe Hahn, Missfallen hervorgerufen. Die Freien Demokraten setzten das Thema deshalb auf die Tagesordnung dieser Sitzungswoche. „Die Aussagen von Schwarz-Grün zeigen wenig Respekt vor dem Rechtsstaat“, stellte Hahn in der Debatte fest und forderte von der Landesregierung mehr Achtung der Gerichte und ihrer Urteile. Dass die Landesregierung nach der Urteilsverkündung des Staatsgerichtshofs erklärt hatte, das Urteil zu akzeptieren, sei eigentlich eine Selbstverständlichkeit. „Das erfordert schon der Amtseid“, betonte Hahn. Über die anschließenden Relativierungsversuche der Regierung zeigte sich der frühere Justizminister enttäuscht. Zu sagen, dass man stolz sei, den Menschen mit dem Sondervermögen in der Pandemie geholfen zu haben, lasse Respekt vor dem höchsten hessischen Gericht vermissen. „Das erinnert mich an einen Sponti-Spruch aus meiner Schul- und Studienzeit, als es hieß: egal, illegal, sch…egal. Das erweckt den Eindruck, als sei der Ministerpräsident vom harten Junge-Union-Aktiven zum Sponti geworden.“ Auch in Bezug auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs habe Schwarz-Grün versucht zu relativieren und auf andere Bundesländer verwiesen. „Die Aussage, das Urteil lesen und dann umsetzen zu wollen, ist banal. Es ist in einem Rechtsstaat selbstverständlich umzusetzen, was die Justiz vorgibt“, verdeutlichte Hahn. „Es geht am Ziel vorbei, wenn die Landesregierung auf andere Bundesländer verweist. Beim Kriterium ,Respekt und inhaltliche Übernahme der rechtsstaatlichen Urteile‘ muss Hessen auf Platz eins der Bundesländer landen.“

Lehrkräfte noch besser ausbilden

Erstmals nach zehn Jahren hat der Landtag in dieser Woche über eine Änderung des Hessischen Lehrerbildungsgesetzes beraten. Seit Inkrafttreten im Jahr 2011 sind zahlreiche neue Herausforderungen auf Hessens Lehrerinnen und Lehrer zugekommen: ob die Heterogenität der Schulklassen, Ganztagsunterricht, Digitalisierung. Entsprechend brauchen sie eine zeitgemäße Aus-, Fort- und Weiterbildung. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf will die Landesregierung diese Herausforderungen berücksichtigen sowie die theoretische und die praktische Ausbildung von Lehrkräften besser miteinander verzahnen. „Der Ansatz geht in die richtige Richtung, aber wichtige Grundsatzentscheidungen fehlen und im Detail sind noch viele Fragen zu klären“, kommentierte der bildungspolitische Sprecher Moritz Promny die von Schwarz-Grün beabsichtigte Reform. „Dieser Entwurf war lange angekündigt und ist überfällig, denn in zeitgemäßen Arbeitsbedingungen, zu denen auch die Aus-, Fort- und Weiterbildung gehören, zeigt sich der Respekt vor Lehrerinnen und Lehrern, ohne die wiederum Bildung nicht funktioniert.“

Eine wesentliche Änderung, die das Gesetz vorsieht, ist die Einführung eines sogenannten Portfolios – einer Art „Mappe“, die das ganze Berufsleben der Lehrkräfte begleitet. Die Freien Demokraten begrüßen diese Idee grundsätzlich, wie ihr bildungspolitischer Sprecher erläuterte. „Lehrkräfte sind einerseits Allrounder, aber sie legen in ihrem Berufsleben auch besondere Schwerpunkte, haben spezielle Kenntnisse und vertiefen Dinge, die ihnen besonders am Herzen liegen. Das alles kann in einem solchen Portfolio sinnvoll zusammengeführt werden.“ Nach Überzeugung der Freien Demokraten solle eine solche „Mappe“ aber zwingend digital angelegt werden, und nicht nur, wie es die Landesregierung vorsieht, sofern die technischen Voraussetzungen vorliegen. „Im Jahr 2021 darf es kein sofern mehr geben. Die Landesregierung ist in der Verantwortung, die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen“, forderte Promny. Auch lasse der Gesetzentwurf eine klare Aussage vermissen, ob dieses Portfolio zu einer entscheidungsrelevanten Grundlage der Berufslaufbahn werden solle oder ob es am Ende nur einen bürokratischen Mehraufwand bedeuten könnte. Schließlich kritisierte Prony, dass eine Darlegung fehle, wie die Ausbildung für Querschnittsthemen wie Integration und Inklusion, Medienbildung und Digitalisierung umgesetzt werden solle. Schließlich übte Promny Kritik daran, dass das Gesetz keine Verlängerung der Regelstudienzeit vorsehe. „Gerade für eine Aufwertung des Grundschullehramts wäre eine Verlängerung der Regelstudienzeit angebracht, zumal die Lehramtsstudierenden ein Fach als sogenanntes Langfach belegen sollen, was bedeutet, dass sie es auch in der Sekundarstufe I unterrichten könnten. Wenn aber die Regelstudienzeit nicht verlängert wird, geht das notgedrungen zulasten anderer Fächer.“