Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Brüssel auf dem Prüfstand

03.08.2017

Zu einer erforderlichen Prüfung der Europäischen Kommission zur Vereinbarkeit der neuen Fassung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes mit dem Unionsrecht erklärte die FDP-Landtagsabgeordnete Nicola BEER: „Das von Bundestag und Bundesrat beschlossene Netzwerkdurchsetzungsgesetz stellt ein Hemmnis für den Dienstleistungsverkehr in der Europäischen Union dar. Die Bundesregierung hätte das deutsche Gesetz zuvor von der Europäischen Kommission notifizieren lassen müssen. Zwar hat sie den ursprünglichen Gesetzesentwurf zur Notifizierung angemeldet, sie hätte aber der Europäischen Kommission und den EU-Mitgliedstaaten erneut die Gelegenheit zur Stellungnahme zum modifizierten Gesetzesentwurf geben müssen. Um eine dreimonatige Stillhaltefrist zu umgehen, hat die Bundesregierung jedoch gegen die Pflicht zur erneuten Notifizierung verstoßen, um das Netzwerkdurchsetzungsgesetz noch in der laufenden Legislaturperiode durchzupeitschen. Mit anliegendem Schreiben an den EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker habe ich ihn aufgefordert, zu prüfen, ob die Bundesregierung durch das Unterlassen einer erneuten Notifizierung europarechtswidrig agiert hat. Schließlich führt ein Verstoß gegen die Notifizierungspflicht zur Unwirksamkeit der in Rede stehenden Vorschrift.

Gesine MEISSNER, Mitglied des Europäischen Parlaments, fügt hinzu:

„Neben der spannenden verfassungsrechtlichen Frage der Vereinbarkeit des nationalen Rechtsakts mit dem Recht der Europäischen Union ist zudem zweifelhaft, ob das erste Notifizierungsverfahren überhaupt ordnungsgemäß abgelaufen ist. So hat sich ein Sprecher der EU-Kommission bereits im laufenden Verfahren während der dreimonatigen Stillhaltefrist zu den Erfolgsaussichten des Notifizierungsverfahrens geäußert und damit möglicherweise Stellungnahmen der Mitgliedstaaten beeinflusst. Mit den heute eingereichten Fragen habe ich die Europäische Kommission gebeten, mögliche Verfahrensverstöße aufzuklären.“

*Das Schreiben an EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker hat folgenden Wortlaut:

„Sehr geehrter Herr Präsident,

am 27. März 2017 hat die Bundesrepublik Deutschland den Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (Bearbeitungsstand: 27.03.2017 15:23 Uhr) im Rahmen des TRIS-Verfahrens (Notifizierungsverfahren 2017/0127/D) notifiziert.

Am 30. Juni 2017 hat der Deutsche Bundestag den Gesetzesentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Drucksache 18/12356 – in geänderter Fassung – Drucksache 18/13013 – angenommen, ohne den geänderten Entwurf erneut zu notifizieren. Gemäß Artikel 5 Absatz 1 Unterabsatz 3 der Richtlinie (EU) 2015/1535 müssen die Mitgliedstaaten den Entwurf jedoch erneut notifizieren, wenn sie an dem Entwurf wesentliche Änderungen vornehmen, Vorschriften hinzufügen oder verschärfen.

Bei einem Vergleich beider Entwürfe fällt auf, dass der Gesetzesentwurf sich wesentlich vom notifizierten Referentenentwurf unterscheidet und Vorschriften hinzugefügt wurden, die im Referentenentwurf nicht angelegt waren. In § 3 Absatz 6 bis 9 wurde mit dem System der Regulierten Selbstregulierung ein neues System der Medienaufsicht geschaffen, das im Konflikt mit dem Grundsatz der Staatsfreiheit der Medien aus Art. 11 GRC, Art. 10 EMRK steht. So ist zweifelhaft, ob die Bundesrepublik Deutschland dem Bundesamt für Justiz als staatliche Behörde die Aufsicht über Selbstkontrolleinrichtungen übertragen darf oder ob sie damit eine staatliche Aufsicht schafft, die einen nicht gerechtfertigten Eingriff in den Binnenmarkt der Europäischen Union darstellt.

Um diese Bedenken der Vereinbarkeit nationalen Rechts mit dem Recht der Europäischen Union auszuschließen und zu verhindern, dass technische Hemmnisse für den Dienstleistungsverkehr in der Europäischen Union entstehen, habe ich die Kommissarin, Frau Elżbieta Bieńkowska darauf hingewiesen, dass die Bundesrepublik Deutschland ihrer Pflicht zur Notifizierung nicht nachgekommen ist. Von Frau Bieńkowska habe ich daraufhin die Antwort erhalten, dass es Aufgabe der Mitgliedstaaten sei, zu prüfen, ob eine Notifizierung vorzunehmen ist.

Diese Einschätzung der Kommissarin teile ich. Da es jedoch Aufgabe der Kommission ist, mögliche Verstöße gegen das EU-Recht aufgrund eigener Untersuchungen oder auf Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen oder Interessenträgern hin festzustellen, bitte ich Sie nunmehr zu prüfen, ob durch das Unterlassen der erneuten Notifizierung ein Verstoß gegen das Unionsrecht vorliegt. Schließlich führt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Nichteinhaltung der durch die Richtlinie (EU) 2015/1535 vorgesehenen Pflichten zur Unwirksamkeit der in Rede stehenden technischen Vorschrift.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich Sie noch darum bitten, bei zukünftigen Notifizierungsverfahren auf die Einhaltung der rechtsstaatlich festgelegten Verfahren zu achten. So hat mich überrascht, dass einer der Sprecher der Kommission, Alexander Winterstein, am 09.06.2017 im laufenden Notifizierungsverfahren während der offiziellen Stillhaltefrist im Midday Press Briefing sagte: „The Commission has no intention to block the German draft law, and this never has been our intention.“ Ich befürchte, dass diese Aussage von Mitgliedstaaten so ausgelegt worden sein könnte, dass das auf Unvoreingenommenheit ausgelegte Notifizierungsverfahren in diesem Fall Einwände von Mitgliedstaaten keine Beachtung schenkt. Gegebenenfalls könnte die Aussage sogar so gewertet worden sein, erst gar keine Stellungnahme abzugeben.

Daher bitte ich Sie zu prüfen, ob das Notifizierungsverfahren ordnungsgemäß abgelaufen ist. Zudem bitte ich Sie um Prüfung, ob die Bundesrepublik Deutschland gegen die Pflicht zur erneuten Notifizierung verstoßen hat, um Bedenken der Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union und die Verletzung von Grundrechten auszuschließen.“

 

*Die Anfrage an die Europäische Kommission finden Sie hier.