Hessen bekommt eine moderne Verfassung
Unsere Hessische Verfassung ist etwas ganz besonderes – denn sie wurde noch deutlich vor dem Grundgesetz erarbeitet und sehr kurz nach der Befreiung aus der Hitlerdiktatur am 1. Dezember 1946 verabschiedet. Damit ist sie die älteste noch existierende Landesverfassung der Bundesrepublik. Selbst das Grundgesetz ist gut zweieinhalb Jahre jünger als die „Verfassung des Landes Hessen“, wie sie offiziell heißt. Aus diesem Grunde ist sie unverwechselbar, ein einmaliges Dokument der Geschichte.
Historischer Charakter vs. moderner Zeitgeist
In zwei Hauptteilen und mit insgesamt 163 Artikeln sind hier die Grundrechte und die demokratische Staatsform unseres Bundeslandes verankert. Die Verfassung regelt damit den rechtlichen Rahmen für alle Menschen und Organisationen in Hessen. Seit ihrem Inkrafttreten wurde Hessens Verfassung jedoch kaum verändert. Lediglich sechs der ursprünglichen 161 Artikel wurden reformiert, zwei Artikel kamen hinzu. Bis heute hat sie ihren historischen Charakter behalten.
Gleichzeitig bedeutet ihre lange Verfassungstradition aber auch, dass sie in einigen Bereichen in die Jahre gekommen ist. Denn in 70 Jahren sind in vielen Lebensbereichen Veränderungen eingetreten. So normiert sie immer noch die Todesstrafe, obwohl diese in Deutschland abgeschafft ist. Und sie spricht das passive Wahlrecht, also das Recht gewählt zu werden, nur denjenigen zu, die das 21. Lebensjahr vollendet haben. In anderen Bereichen wiederum ist sie nach wie vor aktuell. So spricht sie den Menschen fundamentale Grundrechte zu, regelt die Gleichberechtigung und kennt Elemente direkter Demokratie. So kann die Verfassung nur geändert werden, wenn zuvor das hessische Volk in einer Volksabstimmung einer Verfassungsänderung zustimmt. Zuletzt passierte das im Jahr 2011: Die hessischen Bürgerinnen und Bürger sprachen sich dafür aus, die Schuldenbremse in die Verfassung aufzunehmen.
Und schon bald könnte es wieder zu solch einer Volksabstimmung kommen. Denn ein modernes Hessen braucht auch eine moderne Verfassung, die nicht in erster Linie ein wichtiges historisches Dokument darstellt, sondern die zentralen Rechtssätze für die Bürgerinnen und Bürger, die Staatsorganisation und das Verhältnis der Gewalten untereinander bildet.
Einsetzung eines Verfassungskonvents
Aus diesem Grund haben die Fraktionen von CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP im November 2015 eine Enquetekommission eingesetzt, um die Hessische Verfassung zu überarbeiten. Dieser Kommission gehören 15 Parlamentarier an, die von Vertretern aus der Zivilgesellschaft unterstützt werden. Ziel dieser Enquete ist eine Modernisierung der Hessischen Verfassung, wenngleich ihr historischer Charakter beibehalten werden soll. Dies wird keine leichte Aufgabe, denn eine Modernisierung kann sich schnell zu einer Komplettüberarbeitung ausweiten. Einigkeit besteht zwischen den genannten Fraktionen aber bereits in vier Punkten: die Anerkennung des Ehrenamts soll gestärkt werden, die Todesstrafe soll abgeschafft werden und die Regelung zum passiven Wahlalter und zur direkten Demokratie sollen überprüft werden.
Darüber hinaus fordern wir, dass die Menschen vor staatlichen Eingriffen besser geschützt werden sollen. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Digitalisierung. Den Menschen muss ein umfassender Individualanspruch auf Schutz und Teilhabe an der Digitalisierung zustehen, damit Selbstbestimmung und Aufstiegschancen für alle Menschen ermöglicht werden können. Neben dem Schutz personenbezogener Daten und informationstechnischer Systeme, gehört hierzu insbesondere das Recht auf Teilhabe an digitaler Infrastruktur.