Weder besinnlich noch besonnen

15.12.2020

In seiner letzten Sitzungswoche im Jahr 2020 tagte der Hessische Landtag aufgrund der Vielzahl von zu beratenden Initiativen und Gesetzen ausnahmsweise an vier Tagen und teilweise bis tief in die Nacht. Bei Debatten über einen zu diesem Zeitpunkt noch nicht beschlossenen aber schon drohenden zweiten Lockdown, das Vorgehen der Landesregierung in der Corona-Pandemie und im Dannenröder Forst sowie bei der Beratung der geplanten Ausgaben des Landes für das Jahr 2021 kam bei den Mitgliedern des Landtags keine besinnliche Stimmung auf. Auch die von der Landesregierung propagierte Besonnenheit war insbesondere für die Abgeordneten der Oppositionsfraktionen nicht zu erkennen.  

Corona wirksam bekämpfen

Zum Auftakt der Sitzungswoche am Dienstag erläuterte Ministerpräsident Volker Bouffier im Landtag das weitere Vorgehen der Landesregierung in der Corona-Pandemie. Im Zentrum seiner Regierungserklärung standen die Anfang Dezember von der Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen beschlossenen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus. Dabei hatten sich die Länderchefs zunächst auf weitere Kontaktbeschränkungen, das Festhalten am Präsenzunterricht an den Schulen sowie auf Unterstützungsleistungen für die Wirtschaft geeinigt. Über einen erneuten Lockdown war zu diesem Zeitpunkt noch nicht entschieden worden.  

In der sich anschließenden Aussprache machte der Vorsitzende der Fraktion der Freien Demokraten darauf aufmerksam, dass der seit Anfang November geltende Teil-Lockdown bis dato nicht gewirkt habe. „Die Landesregierung muss ihre Komfortzone verlassen und endlich Verantwortung für die Krise übernehmen“, forderte René Rock. Für das Land sehe er derzeit zwei Optionen: Die erste Möglichkeit sei ein harter Lockdown wie im Frühjahr. Dieser sei aus Sicht der Freien Demokraten nicht zu favorisieren. „Es gibt keine Garantie, dass er wirkt und den erhofften Rückgang der Infektionszahlen bringt. Sollte er wirken, ist nicht sicher, dass wir wenige Wochen nach dem Lockdown wieder in der gleichen Situation sind wie jetzt“, erklärte Rock. Die Freien Demokraten plädierten deshalb für eine zweite Option: auf die Eigenverantwortung der Menschen zu setzen und besonders gefährdete Personen zu schützen. Bei diesem Szenario sollte die Landesregierung Verantwortung für die Entstehung von Hotspots übernehmen und eingreifen – unter anderem mit einer Teststrategie, die den Schwerpunkt auf die Altenheime legt. Die dort lebenden Menschen seien besonders schutzbedürftig, ebenso wie jene in Krankenhäusern, in Unterkünften für Asylbewerber und in Wohnheimen. In diesem Zusammenhang warb Rock auch für eine Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. Darüber hinaus sei die erfolgreiche Umsetzung einer Impfstrategie von enormer Bedeutung. „Die Impfstrategie muss funktionieren, wenn wir zurück in die Normalität wollen. Es ist schwer nachzuvollziehen, dass ein in Deutschland entwickelter und womöglich hergestellter Impfstoff in Großbritannien verimpft wird, wir aber in Deutschland aufgrund der EU-Prüfung bis Januar warten müssen,“ ärgerte sich Rock. Er nahm die Landesregierung in die Pflicht, zum einen die Kommunen, die Impfzentren vorbereitet und eingerichtet hätten, zu unterstützen und zum anderen die Menschen zum Impfen zu motivieren. Dazu gehöre eine professionelle Information über die Wirkung der Impfung ebenso wie die Information darüber, wer sich wann wo impfen lassen könne. 

Noch während der Sitzungswoche berichteten Medien über mögliche Pläne der Bundeskanzlerin und einiger Ministerpräsidenten über einen erneuten, harten Lockdown, der noch vor Weihnachten umgesetzt werden sollte. Gemeinsam mit der Fraktion der SPD erwirkten die Freien Demokraten, dass Volker Bouffier am Freitag den Landtag über die offenkundig bevorstehende Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten im Landtag unterrichtete. „Leider ist die Landesregierung nicht von sich aus auf die Idee gekommen, das Parlament zu informieren“, kritisierte Rock im Anschluss an den Bericht des Ministerpräsidenten. Insgesamt sei Bouffier die wesentlichen Antworten schuldig geblieben. „Wir haben nicht erwartet, dass der Ministerpräsident vorab ein Ergebnis verkündet. Aber wir haben erwartet, dass er sagt, welche Maßnahmen er vorschlägt“, resümierte Rock. Der Ministerpräsident habe lediglich zu verstehen gegeben, dass die Schulen in Hessen offen bleiben sollten, ansonsten habe er das Parlament über die Ziele der Landesregierung im Unklaren gelassen. Dass die Landesregierung selbst das einzige von ihr definierte Ziel nicht habe erreichen können, zeigte sich bereits am Sonntag. Nur zwei Tage später beschloss die Bund-Länder-Konferenz einen erneuten Lockdown ab 16. Dezember und appellierte an alle Eltern, dass ihre Kinder noch vor Beginn der Ferien, wo immer möglich, dem Präsenzunterricht fernbleiben sollten.

Haushalt krisenfest machen

Am späten Dienstagabend stand die zur zweiten Lesung übliche und wohl wichtigste Debatte des Jahres auf dem Programm: die Generalaussprache zwischen dem Ministerpräsidenten und den Fraktionsvorsitzenden zum Landeshaushalt. „Das ganze Land ist im Krisenmodus und es stellt sich die Frage, ob die Regierung noch Herr der Lage ist“, urteilte der FDP-Fraktionsvorsitzende Rock. Ungeachtet der Krise betreibe Schwarz-Grün eine extensive Ausgabenpolitik mit immer mehr Personalstellen, deren Ausgaben den Haushalt über Jahrzehnte binden würden. Eine zusätzliche Belastung sei das im Sommer aufgelegte, kreditfinanzierte Sondervermögen, mit dem CDU und Grüne nicht nur Ausgaben zur Bewältigung der Corona-Krise, sondern auch „grüne Lieblingsprojekte“ wie Fahrradabstell-Anlagen und die energetische Sanierung von Forsthäusern finanzieren. „Das Ergebnis ist, dass die Verschuldung Hessens explodiert. Eine Politik, die rechnen kann, sieht anders aus“, stellte Rock fest.

Nach Überzeugung der Freien Demokraten sollten nun mehr denn je die Bereiche Bildung und Wirtschaft in den Blick genommen werden. „Ein krisenfester Haushalt würde eine Bildungs- und Betreuungsgarantie ebenso sicherstellen wie die Ausstattung von Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern mit digitalen Endgeräten, und er würde auch ausreichend Mittel für eine funktionsfähige Lehr- und Lernplattform vorsehen“, sagte Rock. In Bezug auf die Situation der hessischen Wirtschaft betonte der Fraktionsvorsitzende: „Wir stecken mitten in der größten Wirtschaftskrise seit 1949, doch der zuständige Minister hat davon noch nichts mitbekommen.“ Rock kritisierte, dass sich Tarek Al-Wazir in der Corona-Krise nach wie vor weder zum Flughafen noch zur hessischen Industrie und dem Finanzplatz Frankfurt geäußert habe. Um die Wirtschaft krisenfest zu machen, brauche es unter anderem eine Entschädigung der Solo-Selbstständigen in Hessen, die teilweise seit mehreren Monaten keine Einnahmen erzielen können. „Wir Freie Demokraten haben früh ein Corona-Hilfegesetz vorgelegt, doch Bund und Land haben Zeit verstreichen lassen, und es werden Existenzen zerstört“, erinnerte Rock. Generell lasse die Landesregierung Zukunftsorientierung vermissen. In der Energiepolitik mache Hessen durch höhere CO2-Emissionen Rückschritte beim Klimaschutz. „Während alle Welt auf die Zukunftstechnologie Wasserstoff setzt, hat Hessen noch nicht mal eine Strategie“, stellte Rock, der auch energiepolitischer Sprecher seiner Fraktion ist, fest. Im Verkehrsministerium würden neue Stellen geschaffen, aber keine neuen Straßen. Auch die für die digitale Transformation zuständige Ministerin präsentiere sich ambitionslos, ebenso wie das Kultusministerium, welches keine Ideen für den Übergang der Schulen ins digitale Zeitalter liefere. Schließlich sieht Rock auch bei den Kitas seit Jahren keine Qualitätsverbesserungen. 

„Wir brauchen einen krisenfesten und zukunftssicheren Haushalt für 2021“, forderte auch die finanzpolitische Sprecherin der Fraktion der Freien Demokraten im Hessischen Landtag, Marion Schardt-Sauer, anlässlich der Diskussion der Einzelpläne am Mittwoch. In allen Ressorts übten die Fachsprecher der Fraktion teils heftige Kritik an den Ausgabenplänen der Landesregierung. Zur dritten Lesung des Haushaltsgesetzes Anfang Februar werden dann auch die Änderungsanträge der Freien Demokraten beraten werden. 

Sonderprämie für Hessens Polizei auflegen

Während in Wiesbaden der Landtag tagte, gingen nahe Stadtallendorf die seit Anfang Oktober dauernden Räumungsarbeiten für den Weiterbau der A 49 zu Ende. Über Monate hatten Ausbaugegner, unter anderem in Baumhäusern, gegen die erforderlichen Rodungsarbeiten demonstriert und den größten Einsatz der hessischen Polizei seit den Demonstrationen gegen die Frankfurter Startbahn West ausgelöst. Tag für Tag waren bis zu 2000 Polizeikräfte im Maulbacher Forst, im Herrenwald und im Dannenröder Forst im Einsatz gewesen. „Was die Polizei hier leistete, ist außerordentlich“, bilanzierte der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Stefan Müller. Er machte deutlich, dass es die Polizistinnen und Polizisten hier keineswegs nur mit friedlichem Protest zu tun gehabt hätten. „Die Polizistinnen und Polizisten wurden mit Feuerwerkskörpern beschossen, mit Steinen beworfen, körperlich angegriffen und beleidigt. Darüber hinaus wurden sie, besonders entwürdigend, wiederholt mit Fäkalien beworfen“, berichtete der innenpolitische Sprecher, der als parlamentarischer Beobachter mehrmals vor Ort gewesen war. „Trotz all dieser Widrigkeiten haben sich die Beamtinnen und Beamten fast ausnahmslos vorbildlich verhalten und sehr professionelle Arbeit geleistet“, so Müller.

Mit einem Antrag forderte seine Fraktion die Landesregierung auf, den hessischen Polizeibeamtinnen und -beamten eine Corona-Sonderprämie in Höhe von 300 Euro auszuzahlen. Die steuerfreie Prämie sollte die besondere Belastung der hessischen Polizei in diesem Jahr auch finanziell würdigen. „Unsere Polizistinnen und Polizisten waren und sind in diesem Jahr nicht nur im Dannenröder Forst stark gefordert, sondern auch beim Castor-Transport, bei Querdenker-Demonstrationen sowie ganz allgemein durch die Corona-Situation“, begründete Müller die FDP-Initiative. Darüber hinaus solle die Landesregierung prüfen, in welcher Form generell die Möglichkeit einer Zulage für besondere polizeiliche Einsätze geschaffen werden könne, so dass künftig besondere Leistungen bei geschlossenen Einsätzen gewürdigt werden könnten.

Verödung der Innenstädte stoppen

Nicht erst seit Ausbruch der Corona-Krise steht der stationäre Einzelhandel in Hessens Innenstädten vor großen Herausforderungen. Bereits der erste Lockdown im Frühjahr 2020 hatte zu massiven Einkommenseinbußen geführt. Ein weiterer Lockdown rund um das traditionell starke Weihnachtsgeschäft könnte viele Geschäfte zur endgültigen Schließung zwingen. „Wir müssen unsere Innenstädte zukunftsfit machen und ihre Verödung stoppen“, warnte Dr. Stefan Naas in der Sitzung am Donnerstag. Seine Fraktion hatte sowohl ein Gesetz zur befristeten Flexibilisierung der Sonntagsöffnung als auch einen Dringlichen Antrag zur Steigerung der Attraktivität der Innenstädte eingebracht.

Die Freien Demokraten wollen ermöglichen, dass der Einzelhandel bis Mitte 2022 an vier Sonntagen im Jahr auch ohne Anlassbezug öffnen darf. Zur Begründung führen sie an, dass Anlässe wie Märkte oder Feste, die nach aktueller Gesetzeslage für eine Sonntagsöffnung zwingend erforderlich sind, wegen der Corona-Pandemie womöglich nicht stattfinden könnten. „Es sollte ein öffentliches Interesse bestehen, die Innenstädte zu beleben sowie Arbeitsplätze und Einkaufsmöglichkeiten zu erhalten und daher auch die Ladenöffnung am Sonntag zu erlauben. Verkaufsoffene Sonntage sind für die Gewerbetreibenden eine gute Möglichkeit, die Folgen der Corona-Krise abzumildern und gleichzeitig für sich zu werben“, erklärte der wirtschaftspolitische Sprecher der Freien Demokraten. Abschließend forderten die Freien Demokraten die Landesregierung auf, den Strukturwandel mit langfristigen, zukunftsgerichteten Maßnahmen zu begleiten, um die Anziehungskraft der Innenstädte wieder zu erhöhen und die Mittel zur Belebung von Innenstädten und Ortskernen von 40 Millionen Euro auf 60 Millionen Euro aufzustocken. Mit diesen Mitteln könnten zum Beispiel ein Innenstadt-Marketing eingeführt oder professionalisiert sowie Investitionen in digitale Vertriebswege des stationären Handels gefördert werden.