Nach der Wahl ist vor dem Plenum

01.10.2021

In der Woche, in der ganz Deutschland über die Bundestagswahl und mögliche Koalitionsoptionen diskutiert, kam der Hessische Landtag zu seiner ersten Sitzung nach der Sommerpause zusammen. Welche Folgen die Bildung einer neuen Bundesregierung für Hessen haben wird, war während der Sitzungswoche bei Weitem noch nicht absehbar. Umso intensiver waren die Debatten, die von den Abgeordneten geführt wurden. Denn es ging nicht nur um den Haushalt für das kommende Jahr und eine Reform der Grundsteuer, sondern auch um die Modernisierung der Landesverwaltung.  

Mobiles Arbeiten ermöglichen

Nach der Corona-Krise, in der Beschäftigte das Homeoffice kennen und auch lieben lernten, wollen viele von ihnen diese Möglichkeit auch weiterhin nutzen und frei entscheiden können, ob sie im Büro, von unterwegs oder von zu Hause aus arbeiten. Als erste Fraktion Deutschlands haben die Freien Demokraten im Hessischen Landtag bereits im März 2019 auf mobiles Arbeiten gesetzt und sind überzeugt, dass diese Freiheit zu einem Erfolgsfaktor für Unternehmen im Kampf um die klügsten Köpfe werden wird. Auch das Land dürfe hier nicht weiter ins Hintertreffen geraten. „Das Image der verstaubten Verwaltung hält sich hartnäckig und ist ganz klar auch ein Wettbewerbsnachteil“, begründete Oliver Stirböck den von seiner Fraktion vorgelegten Gesetzentwurf sowie einen begleitenden Antrag. Mit ihrer Initiative wollen die Freien Demokraten für die Landesverwaltung ein Recht auf mobiles Arbeiten für Beamtinnen und Beamte gesetzlich verankern und Tarifbeschäftigten die gleichen Möglichkeiten geben. „Jeder Ort kann ein Büro sein“, zeigte sich der digitalpolitische Sprecher der Freien Demokraten im Hessischen Landtag überzeugt. Schließlich hatte er bereits die Pressekonferenz zur Vorstellung des Gesetzentwurfes von einem Offenbacher Café aus absolviert.

„Unsere Vorstellung der Zukunft der Arbeit ist die Vision, in der die Beschäftigten über ein Höchstmaß von Arbeitnehmersouveränität verfügen“, erklärte Stirböck und verwies exemplarisch auf digitale Nomaden, die dank einer stabilen Internetverbindung beispielsweise von Indonesien aus für deutsche Unternehmen arbeiten würden. Mobiles Arbeiten erleichtere den Menschen das Zusammenspiel von Arbeitstag und Leben. „Das Pendeln als großer Stressfaktor und Zeiträuber fällt weg. Das entlastet auch Verkehrswege und Umwelt.“ Stirböck stellte aber auch klar, dass niemand zum mobilen Arbeiten verpflichtet werde: „Es geht uns allein um ein Angebot an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.“ Der Vorschlag der Freien Demokraten sieht vor, dass bei einer Fünf-Tage-Woche an mindestens zwei Tagen pro Woche mobil gearbeitet werden kann. Nach ihrer Überzeugung soll der Staat als Vorbild für Unternehmen agieren. „Wenn die Landesverwaltung zeigt, dass mobiles Arbeiten eine Erfolgsgeschichte ist, dann werden auch die letzten Zweifler überzeugt“, sagte Stirböck mit Blick auf die Privatwirtschaft und die Regierungsfraktionen. 

Vielfalt in der Arbeitswelt nutzen

Die Modernisierung der Arbeitswelt betrifft nicht allein die Hardware-Ausstattung, sondern erfordert auch eine neue Haltung, die den Umgang am Arbeitsplatz bestimmt. Auch in Bezug auf die Vielfalt in der Arbeitswelt wollen die Freien Demokraten ein Umdenken erreichen – einen Kulturwandel und Gleichstellung vorantreiben. Und das hat gleich einige Vorteile: Diverse Teams sind kreativer, produktiver und spiegeln die Vielfalt der Gesellschaft wider. „Verschiedene Köpfe an Bord zu haben, bedeutet gefestigte Denkmuster und Strategien zu hinterfragen, um die Ecke zu denken, das eigene Handeln besser zu verstehen und im Zweifel sogar zu ändern“, erläuterte Wiebke Knell den Antrag, den ihre Fraktion zur Diskussion gestellt hatte. 

Wie der ‚German Diversity Monitor 2021‘ vor Augen führt, ist Deutschland vor einem Diversitätsdilemma. Die Versäumnisse deutscher Unternehmen beim Thema Diversität sind durch die Pandemie noch einmal stärker in den Fokus gerückt. „Wenn Verantwortliche in Führungspositionen nicht davon überzeugt sind, dass Vielfalt der richtige Weg ist, ändert sich wenig“, warnte Knell. Die Sprecherin der Freien Demokraten für Diversity warb dafür, Vielfalt nicht nur in Bezug auf Geschlechter und Inklusion zu sehen, sondern auch sexuelle Orientierung und Identität, Alter sowie kulturelle und soziale Herkunft einzubeziehen. Viele dieser Aspekte würden in der Debatte um Diversität aber noch immer größtenteils ausgeblendet. In fast allen Unternehmen fehle es an spezifischen Maßnahmen für diese Gruppen. „So verschenken wir Potenzial. Potenzial, das eine alternde Gesellschaft dringend benötigt.“ Ohne ein respektvolles Arbeitsumfeld, das Vielfalt wertschätze und praktiziere, sei die Förderung von Zielgruppen nicht nachhaltig. Nach Überzeugung der Freien Demokraten sollte der öffentliche Dienst auch hier eine Vorbildfunktion übernehmen. Dafür müssten bestehende Strukturen wie die Aufgaben von Frauen- und Behindertenbeauftragten zu einem breiteren Diversity-Management umgesattelt werden. „Sowohl Führungskräften wie auch allen anderen Beschäftigten müssen die Bedeutung und der Nutzen von Vielfalt nähergebracht werden“, sagte Knell und forderte darüber hinaus einen Best-Practice-Dialog der Landesregierung mit Vertreterinnen und Vertretern der Wirtschaft. 

Bessere Förderung durch kleinere Grundschulklassen

Dass unsere Gesellschaft immer heterogener wird, zeigt sich auch in unseren Grundschulen. Hier lernen Schülerinnen und Schüler mit und ohne Migrationshintergrund, welche mit und welche ohne besondere Förderbedarfe, bildungsprivilegierte Kinder sowie Kinder, die zu Hause nicht die notwendige Förderung erhalten, gemeinsam. Auf diese Weise wachsen die Anforderungen an die Arbeit der Grundschulen und insbesondere an die Arbeit der Grundschullehrkräfte. Wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung e.V. in einer Studie festgestellt hat, können kleinere Grundschulklassen zu besseren Leistungen von Schülerinnen und Schülern führen. So konnten vor allem in Klassen mit mehr als zwanzig Schülerinnen und Schülern durch eine Verkleinerung, insbesondere in den Fächern Deutsch und Mathematik, positive Effekte aufgezeigt werden. Zudem sinkt in kleineren Klassen die Wahrscheinlichkeit, ein Schuljahr zu wiederholen.

Obwohl CDU und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag die Verkleinerung von Grundschulklassen zur besseren individuellen Förderung zwar noch vereinbart haben, sind sie von ihrem Vorhaben nun offenbar abgerückt. Dieser Eindruck drängte sich den Freien Demokraten zumindest auf, als sie die Antwort des Kultusministers auf ihre kleine Anfrage zu Klassenteilern an Grundschulen gelesen haben. Dabei hat die Corona-Krise den Unterstützungsbedarf vieler junger Schülerinnen und Schülern erheblich verstärkt. „Diese Unterstützung muss, außer durch Angebote in den Ferien, auch durch eine Stärkung der Regelstrukturen in den nächsten Jahren geleistet werden“, forderte Moritz Promny im Rahmen der von seiner Fraktion beantragten Debatte zum Thema. 

Um die im Koalitionsvertrag beabsichtigte bessere Förderung durch kleinere Klassen umzusetzen, bedarf es laut Auskunft der Landesregierung zusätzlich 10,5 Millionen Euro und knapp 133 Lehrkräfte. „Ja, wir haben einen Fachkräftemangel. Aber das scheint mir trotzdem nicht zu viel verlangt“, konstatierte der bildungspolitische Sprecher der Freien Demokraten im Hessischen Landtag. Für eine detaillierte Auswertung der Situation an Hessens Grundschulen forderte Promny eine Metastudie. „Die Grundschullehrkräfte haben in den letzten Jahren enorm viel gesellschaftliche Verantwortung geschultert. Sie brauchen dafür endlich die politische Unterstützung, die sie verdienen“, forderte Promny. Auch den Eltern sei ein Versprechen gemacht worden, das jetzt nolens volens wieder abgeräumt wird. 

Nachhaltige Investitionen tätigen

Während für Ende Oktober das Urteil über die Verfassungsmäßigkeit des hessischen Schattenhaushalts aka Sondervermögen erwartet wird, beriet der Hessische Landtag bereits in dieser Woche in erster Lesung über den von der schwarz-grünen Landesregierung vorgelegten Finanzplan für 2022. Als ‚wichtiger Schritt zur Normalität‘ betitelt, missachtet der Haushaltsentwurf jeglichen Ausgang der bisherigen Verhandlung vor dem Staatsgerichtshof. Dabei hatte die Landesregierung die Neuverschuldung in Milliardenhöhe insbesondere mit fehlenden Einnahmen begründet. „Wieder sind die Zahlen besser, als Schwarz-Grün düster seit Beginn der Pandemie prognostiziert“, konstatierte Marion Schardt-Sauer mit Blick auf wichtige Konjunkturzahlen. Die haushaltspolitische Sprecherin der Freien Demokraten machte auch ihr Missfallen gegenüber der Ausgabenpolitik der hessischen Landesregierung deutlich. „Sie schaffen es wieder, steigende Steuereinnahmen durch noch stärker wachsende Ausgaben zu verfrühstücken.“ Insbesondere wachsende Personalausgaben, vor allem in den Ministerien, würden eine solide und nachhaltige Finanzpolitik verhindern. Sie verwies auf verdeckte Verbindlichkeiten, vor allem Renten und Pensionen, die überdurchschnittlich schnell steigen und den Haushalt zukünftig belasten würden. Im Plenarsaal warnte Schardt-Sauer davor, die Zinsentwicklung nicht aus den Augen zu verlieren. „Das kann eine ernsthafte Gefahr für den hessischen Haushalt darstellen. Eine Politik die rechnen kann, schaut nicht nur auf die aktuelle Schuldenbilanz, sondern berücksichtigt im Sinne der Generationengerechtigkeit auch die zukünftige Entwicklung.“ 

Schardt-Sauer warb für nachhaltige Investitionen statt einer extensiven Ausgabenpolitik. „Um unseren Wohlstand zu sichern, braucht es effektive und effiziente Investitionen, welche der jetzigen, aber auch der zukünftigen Generation einen Mehrwert bringen.“ Besonders müsse darauf geachtet werden, dass geplante Ausgaben auch tatsächlich verausgabt würden – nicht wie etwa beim Digitalpakt. Hier sind nach zwei Jahren gerade einmal 1,4 Prozent der bereitgestellten Mittel abgeflossen. Schließlich nannte Schardt-Sauer noch ein weiteres Problem: Transparenz. Sie warf dem Finanzminister vor, unehrlich gegenüber den hessischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern zu sein. Während er für 2024 eine schwarze Null ankündige, verschweige er den Schattenhaushalt, mit dem er weiterhin ungehemmt Schulden machen könne. Allein für 2022 seien Maßnahmen in einer Höhe von mehr als 1,5 Milliarden Euro geplant. „Das ist ein Taschenspielertrick, um am Ende der Legislaturperiode behaupten zu können, bei einem ausgeglichenen Haushalt angekommen zu sein“, ärgerte sich Schardt-Sauer. Sie bekräftigte die Position der Freien Demokraten, dass es den aus Schulden finanzierten Schattenhaushalt nicht gebraucht hätte, um die Corona-Krise zu meistern. Die Planungssicherheit, die der Finanzminister mit dem Sondervermögen vorgaukeln wolle, stehe auf dünnem Eis, warnte sie mit Bezug auf die Klage von FDP und SPD. „Der Minister ignoriert mögliche Folgen im Hinblick auf das Urteil des Staatsgerichtshofs am 27. Oktober und ist in keiner Weise auf die verschiedensten Szenarien vorbereitet.“