Salafismus

23.07.2015

RENTSCH: Prävention und Repression gleichermaßen notwendig, um freiheitliche Gesellschaft zu schützen – Landesregierung verkennt Verbesserungspotentiale bei Extremismusbekämpfung

„Die von uns Freien Demokraten beantragte Expertenanhörung hat uns das Ausmaß und die Folgen der Ausbreitung salafistischer Ideologisierung für die Betroffenen und deren Familien selbst, Schulen und Vereine, Moscheegemeinden sowie die Sicherheitslage in Hessen deutlich vor Augen geführt. Wir müssen und wollen ein deutliches Signal setzen, dass unsere Demokratie tolerant gegenüber Andersdenkenden ist und Meinungsfreiheit als hohes Gut weitreichendsten Schutz genießt, Toleranz und Weltoffenheit jedoch nicht bedeutet, dass die Feinde unserer Demokratie unwidersprochen gegen diese agitieren, Unfrieden säen und die unveräußerlichen Freiheitsrechte zu Gunsten einer Ideologie einschränken oder gar abschaffen können. Gegenüber solchen Aktivitäten muss sich aber auch der Staat mit aller Kraft und sämtlichen sich bietenden rechtsstaatlichen Mitteln – präventiver und repressiver Art – zur Wehr setzen“, so der Vorsitzende und rechtspolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Hessischen Landtag, Florian RENTSCH.

Rentsch weiter:

„Wir haben die Anhörung intensiv ausgewertet und in der Folge einen Maßnahmenkatalog aufgestellt, der zu einer effektiveren Bekämpfung der islamistischen Radikalisierung in Hessen notwendig ist (Maßnahmenkatalog siehe unten). Über den Umgang der Landesregierung und der sie tragenden Koalition mit der immer größer werdenden Gruppe der Salafisten in Hessen kann man indes nur staunen: Wer erwartet hatte, dass nach dem zögerlichen Vorgehen im letzten Jahr, etwa bei den Übergriffen im Frankfurter Jugendhaus oder der Ausreise eines Salafisten trotz Fußfessel, bspw. mit dem sinnvollen Ausbau der Präventionsarbeit zusammen mit dem VPN oder der Aufstockung des Staatsschutzes endlich ein umfassendes Konzept zur Bekämpfung der islamistischen Radikalisierung in Hessen verfolgt würde, sieht sich enttäuscht. Stellenstreichungen bei der Polizei, kein Vorankommen beim flächendeckenden Ausbau des islamischen Religionsunterrichts, kein Ausbau der muslimischen Gefangenenseelsorge trotz gegenteiliger großspuriger Ankündigung der Justizministerin, eine verbesserungswürdige Situation bei der Präventionsarbeit an Schulen – das ist die Zwischenbilanz.

Ein äußerst bedauerliches Zeugnis der Fehleinschätzung ihrer eigenen Leistung haben die Landesregierung und die Koalitionäre mit ihrer heutigen „Alles ist gut“- Mentalität abgeliefert. Selbst der Bundesinnenminister hat Anfang Juli im Deutschen Bundestag festgestellt: „Wir sind nicht sehr erfolgreich bei dem Durchbrechen der Prozesse der Radikalisierung mitten unter uns“. Hierfür scheint die Landesregierung immer noch nicht ausreichend sensibilisiert. Einen echten Masterplan zur Bekämpfung des islamistischen Extremismus in Hessen hat die Landesregierung immer noch nicht. Stattdessen hantiert Schwarz-Grün mit Placebo-Initiativen wie der Verschärfung des Passwesens oder des Strafrechts wie die Strafbarkeit der Ausreise zum Zwecke der Teilnahme an bewaffneten Konflikten, die mitnichten dazu führen werden, dass potentielle Dschihadisten an ihrer Ausreise effektiv gehindert oder von der Begehung von Straftaten abgehalten werden.“

Hintergrund:
Maßnahmenkatalog der FDP-Fraktion in Auswertung der Salafismus-Anhörung des Hessischen Landtags

• Die Präventionsarbeit des Violence Prevention Network (VPN) ist eine gute Ausgangsbasis, um die Verhütung vor islamistischer Radikalisierung in Hessen strukturell sinnvoll und erfolgreich zu betreiben. Dies zeigt sich an den ersten Erfolgen des VPN, die bereits zu dutzenden gefährdeten jungen Menschen und deren Familien Kontakte aufbauen konnten. Wir fordern die Landesregierung auf, die Notwendigkeit von zusätzlichen Mitteln für eine umfassende Präventionsarbeit des VPN im Laufe des Jahres zu evaluieren, dem Landtag Bericht zu erstatten und in den Haushaltsentwurf für das Haushaltsjahr 2016 entsprechende Mittel einzustellen, um die Arbeit des VPN möglichst effektiv zu unterstützen.
• Es ist deutlich geworden, dass der Umgang mit im Radikalisierungsprozess befindlichen oder bereits erheblich radikalisierten Jugendlichen insbesondere an Schulen noch höchst unterschiedlich gehandhabt, Lehrkräfte teilweise noch nicht ausreichend sensibilisiert sind. Die Landesregierung sollte daher unbedingt die Präventionsarbeit an Schulen strukturell ausbauen. Hierzu soll ein enges Netzwerk zwischen Schulen, Vereinen, Trägern von Jugendeinrichtungen und den hessischen Sicherheitsbehörden unter Einbeziehung des VPN geschaffen werden, um eine Radikalisierung möglichst frühzeitig zu erkennen und dieser entgegenzuwirken. Zu diesem Zweck sind insbesondere auch im Bereich der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften umfassende Angebote zu schaffen.
• Der islamische Religionsunterricht ist ein wichtiger Schlüssel, um muslimische Kinder und Jugendliche frühzeitig theologisch zu bilden und sie so vor den bewussten Mißinterpretationen und Fehlauslegungen des Korans durch salafistische Rattenfänger zu schützen. Der bereits in der letzten Legislaturperiode eingeschlagene Kurs in der Integrationspolitik und der Akzeptanz des Islam als Religion in Hessen sollte zügig durch den flächendeckenden Ausbau des islamischen Religionsunterrichts fortgeführt werden.
• Jugendliche, die bereits straffällig geworden sind, sind besonders empfänglich für radikalislamistische Indoktrinierung. Es ist zunehmend auch in hessischen Justizvollzugsanstalten eine Tendenz zur Radikalisierung festzustellen, was Funde entsprechenden Propagandamaterials zeigen. Wir sehen mit großer Sorge, dass sich ein regelrechtes Netzwerk bilden könnte, welches in Gefängnissen oder von außen im Rahmen von Besuchskontakten Einfluss auf charakterlich oder psychisch labile Inhaftierte nimmt. Der flächendeckenden Ausbau der muslimischen Gefangenenseelsorge ist daher unerlässlich, um durch geschulte Geistliche vermeintlich religiös motivierte Radikalisierungsprozesse zu unterbinden. Hierzu muss die Landesregierung die Akquirierung geeigneter Seelsorger bzw. Imame, die in deutscher Sprache und mit entsprechender theologischen Ausbildung die Gefangenenbetreuung übernehmen können, intensivieren bzw. zu diesem Zwecke zusammen mit den entsprechenden islamwissenschaftlichen Instituten an den Universitäten in Frankfurt und Gießen, geeignete Personen wie etwa Sozialarbeiter als Seelsorger selbst aus- und fortzubilden sowie entsprechende Ausbildungsmodule entwickeln.
• Im Rahmen der Häuser des Jugendrechts, die bereits in den entsprechenden Brennpunkten mit islamistischer Radikalisierung bestehen, sollte frühzeitig ein ganz besonderes Augenmerk auf ebendiese Tendenzen gelegt und rechtzeitig interveniert werden. Das Projekt sollte an weiteren geeigneten Standorten gemeinsam mit den betroffenen Städten fortzuführen und bzw. in geeigneten Kommunen ausgebaut werden.
• Es bedarf einer Stärkung der Sicherheitsbehörden, insbesondere eine ausreichende personelle Ausstattung des Verfassungs- und Staatsschutzes. Die Schaffung von fünf neuen Stellen beim Hessischen Landesamt für Verfassungsschutz im Bereich der Extremismusbekämpfung ist ebenso zu begrüßen wie die Umschichtung von 65 Stellen der hessischen Bereitschaftspolizei zum Staatsschutz, aber noch nicht ausreichend. Vor diesem Hintergrund ist die Streichung von insgesamt 147 Stellen in der Hessischen Polizeiverwaltung bis 2018, die zu einer zusätzlichen Belastung des Vollzugsdienstes mit Verwaltungsaufgaben und damit zu einer Schwächung des Streifendienstes führt, völlig kontraproduktiv.
• Im Zuge der zunehmenden Fälle von radikalisierten Straftätern ist ein erheblicher Anstieg des Arbeitsaufkommens bei den hessischen Staatsanwaltschaften festzustellen. Insbesondere die Verfahren im Bereich des § 89 a StGB binden viel Zeit und Ressourcen. Der Landtag erwartet, dass seitens der Landesregierung auf diese neuen Herausforderungen auch im Bereich der Staatsanwaltschaften durch entsprechende Ausstattung und Personaleinsatz reagiert wird.