RENTSCH-Interview für FAZ (18.05.2011)

18.05.2011

FLORIAN RENTSCH, Vorsitzender der FDP-Fraktion im Hessischen Landtag, gab der Frankfurter Allgemeine Zeitung (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Ralf Euler:

Frage: Mitte vergangener Woche stand die FDP noch am Abgrund. War der Bundesparteitag vom Wochenende ein Schritt nach vorn oder zurück?

Rentsch: Der Parteitag war der erste Schritt für einen Neustart in die richtige Richtung. Klar ist, dass man das verlorengegangene Vertrauen nicht an einem Wochenende zurückgewinnen kann. Wir müssen das umsetzen, was wir versprochen haben: weniger Staat, Stärkung der Bürgerrechte, Steuersenkung, Energiewende. Jetzt müssen wir liefern, aber klar ist auch: Der Wiederaufbau der FDP wird länger dauern, als sich das manche bei uns vorstellen.

Frage: Die Hessen-FDP und insbesondere deren Vorsitzender Jörg-Uwe Hahn standen in den vergangenen Monaten an vorderster Front, wenn es darum ging, die Leistung des damaligen Bundesvorsitzenden Guido Westerwelle zu kritisieren. Woran lag’s, dass Hahn bei seiner Wahl ins Bundespräsidium mit dem schlechtesten Ergebnis aller Kandidaten abgestraft wurde?

Rentsch: Wir haben von Anfang an auf Missstände aufmerksam gemacht und diese intern und auch offen thematisiert; und es muss auch möglich sein, in einer Partei Kritik zu üben. Aber der Parteitag lehrt uns, dass der Bote solcher Positionen nicht immer belohnt wird, sondern möglicherweise von anderen Landesverbänden abgestraft wird. Ich hoffe dennoch, dass die FDP auch künftig konstruktiv-kritisch mit sich selbst umgeht. Der hessische Landesverband wird das jedenfalls weiter so halten.

Frage: Sind die Fehler, die in Berlin seit der Bundestagswahl vor eineinhalb Jahren gemacht wurden, bei den Debatten in Rostock nicht ein wenig zu kurz gekommen?

Rentsch: Die Aussprache war nicht ganz so kritisch, wie ich erwartet hatte, weil Westerwelle von vornherein Fehler eingestanden hat. Damit war nicht unbedingt zu rechnen, und auf diese Weise hat er Druck herausgenommen. Außerdem sind die Jahre unter der Führung Westerwelles doch bei weitem nicht nur negativ zu sehen: Er hat acht gut Jahre in der Opposition gehabt, den Wiederaufbau der FDP in schwierigen Zeiten organisiert, nach Regierungsübernahme aber leider eine ganz Reihe von Fehlern gemacht.

Frage: Welche Konsequenzen hat die Krise der Liberalen für die Stimmung in der schwarz-gelben Koalition in Wiesbaden?

Rentsch: Wir sind mit der CDU nicht immer einer Meinung, schaffen es aber immer wieder, unsere unterschiedlichen Positionen zusammenzuführen. Die FDP stellt mit 20 Abgeordneten fast ein Drittel der hessischen Regierungskoalition und wir haben schon ein gutes Stück unseres liberalen Programms umgesetzt – nicht gegen die Union, sondern mit ihr gemeinsam.

Frage: Ist für Sie als Chef der größten FDP-Landtagsfraktion aller Zeiten die liberale Spur in der Regierung deutlich genug erkennbar?

Rentsch: Definitiv. Wenn man sich die vergangenen zwei Jahre anschaut, kann man klar feststellen, wo die FDP die Politik geprägt hat. Der Schulbesuch von Kindern ohne Aufenthaltsstatus, islamischer Religionsunterricht, Modellregionen für Integration, ein praktikablerer Nichtraucherschutz, Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten – das sind alles Themen, bei denen wir uns durchgesetzt haben. Im neuen Schulgesetz wird nun die grundlegend liberale Idee einer selbständigen Schule verankert; das ist ein Projekt, das uns noch Jahre beschäftigen wird. All das hätte es nicht gegeben, wenn die Union allein weiterregiert hätte. Hessen ist, seitdem wir mitregieren, wieder deutlich mehr in der Mitte zuhause.

Frage: Man könnte auch sagen, dass Ministerin Dorothea Henzler in der Schulpolitik auf der Stelle tritt.

Rentsch: Die Kultusministerin hat die rechtlichen Grundlagen zur Umsetzung der selbständigen Schule geschaffen. Das war ein langer, quälender Prozess, weil es ist nicht mehr und nicht weniger als ein Paradigmenwechsel im Verwaltungsaufbau der Schulen ist, den wir anstreben. Demnächst werden Entscheidungen nicht mehr von oben nach unten durchgesetzt, sondern von unten nach oben.

Frage: Wird diese demokratischere Schule am Ende der Legislaturperiode zumindest in ihren Grundzügen erkennbar sein?

Rentsch: Das Projekt wird dann so weit gediehen sein, dass es nicht mehr rückgängig zu machen ist. Aber man wird noch nicht alle Vorteile erkennen können, weil das ein auf Jahre angelegtes Vorhaben ist, für das auch Mentalitäten verändert und viele Widerstände überwunden werden müssen. Deshalb heißt unser Motto: Qualität geht vor Schnelligkeit. Wenn wir hier Fehler machen, fällt uns das doppelt und dreifach auf die Füße.

Frage: Auch in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik und der Frage der künftigen Energieversorgung vermisst der ein oder andere stärkere Akzente der FDP.

Rentsch: Die Energiewende ist für uns ein Riesenthema. Hessen ist kein reiner Dienstleistungsstandort, wir haben viel produzierendes Gewerbe, und es gibt Unternehmen, die schon Teile der Produktion, beispielsweise in die USA, verlagert haben, weil die Energiekosten dort geringer sind. Bei dem von uns angestrebten Ausstieg aus der Kernenergie geht es also nicht nur um Sicherheit und Umweltverträglichkeit, sondern vor allem auch um Preisstabilität – für die Verbraucher und für die Wirtschaft. Wir wollen insgesamt keine esoterische Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik wie die Grünen. Wir haben die Interessen der Arbeitnehmer, Unternehmer und der Gesamtwirtschaft im Blick.

Frage: Wie ist der Spagat zwischen einem schnellen Ausstieg aus der Atomenergie und einer sicheren und günstigen Stromversorgung zu schaffen?

Rentsch: Wenn wir aus der Atomkraft aussteigen, müssen wir auch über neue Gas- und Kohlekraftwerke diskutieren, beispielsweise den Ausbau des Kohlekraftwerks Staudinger bei Hanau. Die Grünen versuchen den Eindruck zu erwecken, die Energiewende könnte allein mit regenerativen Energien und Blockheizkraftwerken in Hauskellern erreicht werden, aber jeder, der sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigt, weiß doch, dass das nicht funktioniert. Wir brauchen auch künftig Kraftwerke, die große Industriezweige verlässlich mit Strom versorgen können. Nur mit Sonne und Wind können wir Deutschland nicht am Leben erhalten.

Frage: Die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für neue Stromtrassen steht ganz oben auf der Agenda?

Rentsch: Beim FDP-Bundesparteitag ist klargestellt worden, dass ein Atomausstieg schneller als geplant zu vollziehen ist, allerdings unter der Voraussetzung, dass auch der Ausbau der Stromtrassen schneller vorangetrieben wird. Beides gehört zusammen: Gegen Atomkraft und gegen den Trassenausbau vor Ort – wie es die Grünen sind – das ist scheinheilig. Dem Trassenausbau muss Vorrang eingeräumt werden.

Frage: Welche Konsequenzen haben die schlechten Umfragewerte der FDP und die Öffnung der CDU hin zu den Grünen für die Strategie der Liberalen? Kann sich Ihre Partei weiter auf Gedeih und Verderb an die Union ketten?

Rentsch: Die FDP ist grundsätzlich gut beraten, wenn sie sich auf sich selbst konzentriert und nicht immer in Koalitionsmodellen denkt. In Hessen haben wir ein sehr erfolgreiches und freundschaftliches Bündnis mit der CDU. Natürlich nehme ich zur Kenntnis, dass es CDU-Politiker bis hin zum hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier gibt, die schwarz-grüne Modelle nicht mehr ausschließen. Das Parteiengefüge insgesamt wird etwas lebendiger, und es wäre Blödsinn, wenn die FDP sich als einzige nicht bewegen würde. Aber ich bin überzeugt, die CDU in Hessen weiß, was sie an uns hat, und wenn die Union die Grünen starkredet, muss sie aufpassen, dass es am Ende noch Schwarz-Grün und nicht Grün-Schwarz heißt.

Download des gesamten Interviews im PDF-Format.