Offener Brief an Ministerpräsident Bouffier zum UNESCO-Welterbe Oberes Mittelrheintal

04.08.2016

Offener Brief von René Rock an Ministerpräsident Bouffier: UNESCO-Welterbe Oberes Mittelrheintal durch Windkraft in Gefahr

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

mit großer Sorge haben meine Fraktion und ich als Fachsprecher zur Kenntnis nehmen müssen, dass der Windkraftinvestor EnBW Ende Mai diesen Jahres beim Regierungspräsidium Darmstadt Antrag auf Sofortvollzug der Genehmigung zum Bau des in der Stadt Lorch geplanten Windpark Ranselsberg gestellt hat.

Die Stadt Lorch ist Teil des UNESCO-Welterbes „Oberes Mittelrheintal“. Das Obere Mittelrheintal wurde im Jahr 2002 durch die UNESCO als Kulturlandschaft von „außergewöhnlichem universellem Wert“ ausgezeichnet.

Mit dem geplanten und nun auch beantragten Bau von Windkraftanlagen ist der Welterbestatus massiv gefährdet. Damit ist genau die bedrohliche Situation eingetreten, vor der wir im Landtag nachdrücklich gewarnt haben.

Im Februar 2016 hat meine Fraktion mit Antrag Ihre Regierung aufgefordert alles dafür zu tun, um eine Gefährdung des Welterbestatus zu verhindern. In der Debatte hat Herr Staatsminister Tarek Al-Wazir zugesagt, dass es keine Genehmigung der Anlagen ohne vorherige Zustimmung seitens der UNESCO geben werde, um das Welterbe nicht in Gefahr zu bringen.

Die Bundesrepublik Deutschland hat sich mit der Ratifizierung der Welterbekonvention im Jahr 1976 völkerrechtlich zum Schutz und Erhalt der deutschen Welterbestätten verpflichtet. Um dieser Verpflichtung nachzukommen, haben das Land Rheinland-Pfalz, das wie Hessen zur Gebietskulisse des Oberen Mittelrheintales gehört, sowie der Zweckverband Welterbe (dem neben den beiden Ländern auch die Kommunen der Welterberegion angehören) im Jahr 2013 ein Gutachten in Auftrag gegeben, um zu ermitteln, ob und inwieweit der Ausbau der Windkraft mit dem Welterbestatus vereinbar ist.

Es war sinnvoll und logisch, dass die gemeinsame Welterberegion insgesamt und auf der Basis einheitlicher Maßstäbe untersucht wurde. Dieses Gutachten, das die Firma Grontmij vorlegte, sollte ausdrücklich die Basis für die Bewertung der Windkraftverträglichkeit des Welterbes bilden.

Die Gutachter kamen schließlich zu einer klaren Gesamtbewertung:
„Aufgrund der visuellen Dominanz und der Sichtbarkeit von WEA [Windkraftanlagen] an herausragenden Aussichtspunkten in der Kernzone ist davon auszugehen, dass bis zu 200m hohe Windenergieanlagen im Rahmenbereich nicht mit dem Status des UNESCO-Welterbes zu vereinbaren sind.“

Im Juli 2015 hat das UNESCO-Welterbekomitee diese Sichtachsenstudie als Grundlage zur Bewertung der Welterbeverträglichkeit ausdrücklich begrüßt und den Vertragsstaat Bundesrepublik Deutschland und die betreffenden Behörden dringend aufgefordert, die Ergebnisse der Sichtachsenstudie zu akzeptieren und ihre Planungen im Bereich der Windkraft entsprechend anzupassen, um den Welterbestatus nicht zu gefährden (Beschluss 39 COM 7B.78).

Auch die deutsche UNESCO-Kommission hat mit Schreiben vom 29. Juli 2015 Ministerpräsidentin Malu Dreyer noch einmal dringend die Beachtung des Gutachtens nahegelegt, da andernfalls mit der Eintragung des Oberen Mittelrheintales auf der „Roten Liste“ und in der Folge einer Aberkennung des Welterbestatus zu rechnen sei.

Das Land Rheinland-Pfalz hat auf der Grundlage des Gutachtens sofort gehandelt und alle beantragten Windkraftanlagen im Bereich des Kern- und Rahmenbereiches der Welterberegion, auch gegen lokale Widerstände, auf Basis eines Kabinettsbeschlusses untersagt. Diese Entscheidung aus 2013 wurde gerichtlich bestätigt und gilt bis heute.

Zu meinem großen Bedauern hat das Land Hessen bisher keinerlei vergleichbare Anstrengungen unternommen das Welterbe zu schützen. Im Gegenteil, der Windkraftinvestor EnBW wurde ermuntert ein eigenes neues Gutachten erstellen zu lassen, um das von Rheinland-Pfalz und Zweckverband beauftragte und von der UNESCO als maßgeblich eingestufte Gutachten anzugreifen.

Nun, nachdem EnBW Antrag auf Sofortvollzug gestellt hat, ist festzustellen, dass die von Staatsminister Al-Wazir im Landtag fest zugesagte vorherige Abstimmung mit der UNESCO nicht stattgefunden hat. Es ist weiterhin festzustellen, dass auch der Zweckverband Welterbe als Träger der öffentlichen Interessen ebenfalls nicht eingebunden wurde und das vom Investor vorgelegte Gutachten ablehnt, da die hier angewandte Methodik von den Vorgaben der UNESCO deutlich abweicht.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

Sie persönlich haben gegenüber Vertretern engagierter Bürgerinitiativen zum Erhalt der Kulturlandschaft im Rheingau mit Schreiben vom 6. September 2016 erklärt, dass das Welterbe „in keiner Form gefährdet werden dürfe“. Auch gegenüber der Öffentlichkeit haben Sie mehrfach erklärt, dass vor einer Genehmigung des Windparks in Lorch eine Gefährdung des Welterbestatus seitens der UNESCO ausgeschlossen werden müsse.

Ich möchte Sie nachdrücklich an Ihr Versprechen erinnern und fordere Sie namens meiner Fraktion auf, unverzüglich alles in die Wege zu leiten, damit der Welterbestatus nicht durch den Windpark Ranselsberg gefährdet wird.

Stoppen Sie das Genehmigungsverfahren und schaffen Sie die rechtlichen Voraussetzungen, damit, wie in Rheinland-Pfalz, auch in Hessen keine Gefährdung des Welterbes entstehen kann und die gesamte hessische Welterberegion frei von Windkraft bleibt.

Erlauben Sie mir zum Abschluss eine persönliche Bemerkung:
Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass – bei allen Unterschieden in den Fragen der Energiepolitik – die Hessische Landesregierung und insbesondere die hessische CDU einen Konflikt mit der UNESCO, mit unserem Nachbarland Rheinland-Pfalz, mit dem Zweckverband Welterbe und vor allem mit tausenden Bürgern in der Region eingeht, um gegen jede Vernunft drei, vier Windkraftlangen in die sensibelsten Kulturlandschaften zu stellen, die wir in unserem Land haben. Diese Politik konterkariert nicht zuletzt alle Bestrebungen und Förderprogramme zum Erhalt und zur Stärkung des (Kulturlandschafts-) Tourismus, der bekanntlich eine der tragenden Säulen der regionalen Wirtschaftsstruktur im Rheingau ist.

Deshalb: Hände weg vom Welterbe, keine Gefährdung durch Windräder. Beenden Sie die Heimlichtuerei des Genehmigungsverfahrens. Handeln Sie jetzt, bevor es zu spät ist.
Mit freundlichen Grüßen

René Rock