Gutachten zur Staatsgerichtshofwahl

13.10.2014

ROCK: Gutachten sowie Sondervoten belegen evidente Rechtsfehler bei der Entscheidungsfindung des Staatsgerichtshofes

Die FDP-Fraktion hat aufgrund des Beschlusses des Staatsgerichtshofes, wonach die Wahl aller nicht-richterlichen Mitglieder durch den Hessischen Landtag zu wiederholen ist, ein Kurzgutachten beim Institut für öffentliches Recht der Goethe-Universität Frankfurt in Auftrag gegeben. Zu den Ergebnissen erklärt der parlamentarische Geschäftsführer, René ROCK: „Bereits die Frage, ob Prof. Safferling zum Zeitpunkt der Wahl im Hessischen Landtag wählbar war, ist verfassungsrechtlich höchst diffizil. Ich erinnere hierbei an das Urteil des Thüringer Verfassungsgerichts, welches bezüglich der Wählbarkeit in einem ähnlich gelagerten Fall die diametral entgegengesetzte Position des Hessischen Staatsgerichtshofs vertreten hat. Das Gutachten weist jedoch völlig unabhängig von dieser Frage auf eine ganze Reihe rechtlicher Probleme im Beschluss des Staatsgerichtshofs hin, die unsere verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Urteilstenor bestätigen. Die Entscheidung, den gesamten Wahlgang zu wiederholen, ist sowohl argumentativ nicht nachvollziehbar als auch rechtsdogmatisch und aus prozessualen Gesichtspunkten schlicht fehlerhaft. Dies ist mit Sicherheit auch eine Erklärung dafür, dass der Staatsgerichtshof bei seinen Beratungen mit der denkbar knappsten Mehrheit und mit zwei abweichenden Sondervoten entschieden hat.“

„Besonders schwer wiegen nach unserer Auffassung – im Gegensatz zu den Punkten, die im rechtswissenschaftlichen Diskurs mit mehr oder weniger überzeugenden Argumenten auf die eine oder andere Art gewertet werden können – die Urteilsfehler, die von einer fehlerhaften Rechtsanwendung des Staatsgerichtshofs herrühren. So stellt das Gutachten fest, dass die für die Wahlprüfung angewandte Norm keine taugliche Rechtsgrundlage für das Vorgehen des Staatsgerichtshofs und vor allem den Ausschluss der nicht-richterlichen Mitglieder von der Entscheidung war und schließt daraus:

„Es ist daher nicht mit den Anforderungen an juristische Normauslegung und Normanwendung vereinbar, wenn der StGH ohne jede Erläuterung eine nach rechtsdogmatischen Gesichtspunkten fernliegende und im Streit stehende Auslegung wählt.

Als Folge dieser fehlerhaften Rechtsanwendung hat der Staatsgerichtshof in fehlerhafter Besetzung über die Rechtmäßigkeit der Wahl entschieden, Zitat:

„Bei einer Begründung der Wahlprüfung aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG bzw. Art. 20 Abs. 1 HV müsste das Gericht in seiner Gesamtheit (alle 11 Mitglieder) über die Wahlprüfung entscheiden. Die Verfahrensvorgaben des § 11 Abs. 3 i.V.m. § 18 Abs. 3 StGHG, konkret der Ausschluss der betroffenen Mitglieder, wären nicht anwendbar. Die rechtsdogmatische Herleitung der Entscheidungsgrundlage ist also von erheblicher Bedeutung für das Entscheidungsverfahren.“

Nach der Hessischen Verfassung hätte der Staatsgerichtshof also richtigerweise über die Wahlprüfung in seiner Gesamtheit von allen 11 Mitgliedern entscheiden müssen. Stattdessen hat der Staatsgerichtshof bei Stimmgleichheit mit entscheidender Stimme des Vorsitzenden entschieden, dass sechs von elf Mitgliedern von Beginn an nicht als Mitglieder des Staatsgerichtshofes gewählt waren und deshalb nicht an der abschließenden Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Wahl teilnehmen durften. Die eigentliche Entscheidung über die Erforderlichkeit einer Wiederholungswahl wurde schließlich sogar nur mit drei zu zwei Stimmen getroffen.

Nach dem Gutachten ist auch die Anordnung des StGH, dass eine Änderung der Listen bei der Wahlwiederholung nicht mehr möglich sein soll, widersprüchlich und deshalb juristisch nicht haltbar. Im Ergebnis führt das dazu, dass der Staatsgerichtshof mit dem Urteil seine verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten überschritten hat:

„Indem der StGH ohne rechtlich tragfähige Grundlage seine eigene Wahl für ungültig erklärt und dem Parlament im konkreten Einzelfall vorgibt, wie es den Staatsgerichtshof wählen soll, stellt der StGH seine parlamentarisch vermittelte Legitimation in Frage. Aus diesem Grund verneint das BVerfG auch gerade ein allgemeines Selbstprüfungsrecht aller Verfassungsorgane.

Deshalb ist es zur Erhaltung der Legitimation der einzelnen Verfassungsorgane zwingend notwendig, dass die Grundlage eines Selbstprüfungsrechts – nichts anderes ist eine Wahlprüfung – in der Verfassung oder im parlamentarischen Gesetz angeordnet ist. § 11 Abs. 3 StGHG ist eine solche Norm. Auch Besetzungsrügen, seien sie in einfachen Gesetzen konkretisiert oder seien sie auf Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG oder Art. 20 Abs. 1 HV gestützt, sind solche Normen. Umgekehrt folgt daraus, dass ohne eine Besetzungsrüge oder ohne eine besondere Wahlprüfungsnorm keine Selbstprüfung des StGH erfolgen kann. Die Entscheidung des StGH ist also nicht nur „schlicht“ rechtsfehlerhaft, sondern zudem auch eine substantielle Verletzung des Grundsatzes der Gewaltenteilung.“

Das Gutachten weist damit mehrere evidente rechtsdogmatische wie auch logische Fehler auf, was auch durch die beiden abweichenden Sondervoten von zwei der fünf verbliebenen Richter, die letztlich entschieden haben, deutlich untermauert wird. Letztlich hat der Staatsgerichtshof mit drei von elf Mitgliedern eine Frage entschieden, über die er nicht hätte entscheiden dürfen und hat dann dem Parlament auch noch das (Neu)Wahlverfahren vollständig vorgegeben. Wir wollen dennoch dazu beitragen, dass der vom Staatsgerichtshof verschuldete Legitimationsverlust nicht in eine Verfassungskrise mündet. Deshalb werden wir trotz der offensichtlichen rechtlichen Fehler des Beschlusses im Sinne der Staatsraison das jetzt vorgesehene Wahlverfahren hinnehmen. Aufgrund der bemerkenswerten Vorgänge bei dieser Wahl beabsichtigt die FDP-Fraktion, in dieser Legislaturperiode einen Vorschlag zur Änderung des Wahlverfahrens zum Staatsgerichtshof zu unterbreiten“, so Rock.

Download des Urteils aus Thüringen als PDF-Datei.