Zukunft fängt bei den Jüngsten an

Nur wenige Tage vor der Bundestagswahl überraschten Volker Bouffier, Tarek Al-Wazir und Stefan Grüttner mit einer anscheinend guten Nachricht für viele Eltern in Hessen: Ab August 2018 werden keine Kindergartengebühren mehr erhoben. Doch ist die Ankündigung tatsächlich so positiv, wie sie scheint?

Schwarz-grüne Sturzgeburt

„Das vorgelegte Konzept ist eine Sturzgeburt und geht an den aktuellen Herausforderungen der Kindertagesstätten und den Bedürfnissen der Eltern absolut vorbei“, kritisierte René Rock, sozialpolitischer Sprecher und Vorsitzender der FDP-Fraktion im Hessischen Landtag, die Pläne der schwarz-grünen Landesregierung. Tatsächlich sind die Anliegen der Eltern andere: Wie eine Befragung der Bertelsmann-Stiftung zeigt, klagen 72 Prozent der Eltern über nicht ausreichend Kita-Plätze. Annähernd genauso viele (69 Prozent) sind der Meinung, dass es keine hochwertige Kita-Betreuung für ihre Sprösslinge gibt. Und dabei handelt es sich keineswegs um subjektive Eindrücke: Laut Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) fehlen in Hessen aktuell 23.000 Krippenplätze. Dazu kommen weitere 10.000 Kindergartenplätze, wie der Hessische Städte- und Gemeindebund festgestellt hat. Die aktuell steigende Geburtenrate lässt einen höhe Zukunft fängt bei den Kleinsten an Bedarf in Zukunft erwarten. Dass es darüber hinaus bereits heute viel zu wenig Erzieher gibt, ist nicht erst seit einer Ende August veröffentlichten Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung klar. Im vergangenen Jahr kümmerte sich eine Kita-Vollzeitkraft rein rechnerisch um 3,8 Kinder. Laut Empfehlung der Stiftung sollten es 3,0 Kinder sein. Für einen kindgerechten Personalschlüssel fehlen demnach zusätzliche 7.400 Vollzeit-Mitarbeiter und weitere 329 Millionen Euro jährliche Investitionen.

Kindgerechte Betreuung

Wie können Eltern, Erzieher und auch die Politik einem Kind gerecht werden? Und was bedeutet „kindgerecht“ in der alltäglichen Arbeit in den Kindertagesstätten? Antworten auf diese Fragen sammelt Rock derzeit im Rahmen seiner Kita-Tour. Von Zwingenberg bis Waldeck-Frankenberg, von Seligenstadt bis Haiger – der sozialpolitische Sprecher der FDP-Fraktion ist quer durch Hessen unterwegs, um sich vor Ort ein Bild über die Erwartungen seitens der Fachkräfte und der Eltern an die Politik zu machen.

„Eltern wollen das Beste für ihr Kind. Sie wollen den optimalen Ort, an dem den Bedürfnissen ihres Kindes Rechnung getragen wird“, stellte Rock bereits in den ersten Gesprächen mit Eltern und Elternvertretern fest. Die von der schwarz-grünen Landesregierung beschlossene Gebührenfreiheit kommt jedoch allein dem Geldbeutel der Eltern, nicht aber den Kindertagesstätten, geschweige denn den Kindern zugute. „Es muss darum gehen, die Kinder zu fördern, zu unterstützen und zu begleiten“, fordert Rock. „Die Qualität der Kindertagesstätten muss sich vom Kind und seinen entwicklungsspezifischen Bedürfnissen ableiten. Wir müssen endlich aufhören, diese Einrichtungen ausschließlich als Kostenfaktor zu sehen.“ Kinder sind unsere Zukunft und gerade deshalb ist es notwendig, ihnen von Anfang an die richtige Unterstützung und Förderung zukommen zu lassen. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass gerade Kleinkinder individuell lernen – jedes Kind nach seinem Tempo, Interessen und Fähigkeiten. Deshalb bedarf es gerade in den ersten Jahren des Spielens und des Ausprobierens, des Entdeckens und der Neugier eines Umfelds, das sich der Bedürfnisse des Kindes annimmt und Anreize zum Lernen bietet. Deshalb verläuft auch die thematische Auseinandersetzung aufgrund der Entwicklungsstufen, die die Kinder absolvieren, nicht gleich und muss immer wieder in unterschiedlicher Art und Weise erfolgen. Lernen findet oft in anderen Situationen statt als gedacht und vor allem als von Erwachsenen, Eltern und Fachkräften geplant.

Frühkindliche Bildung muss sich auf das einzelne Kind einstellen und dieses mit seinen Bedürfnissen in den Mittelpunkt stellen. „Investitionen in eine qualitativ gute Frühförderung führen auf lange Sicht dazu, dass später weniger Mittel eingesetzt werden müssen, um Versäumtes zu reparieren“, begründet René Rock die Forderung seiner Fraktion nach zusätzlichen Investitionen in frühkindliche Bildung. Mit zusätzlichen 100 Millionen Euro pro Jahr wollen die Freien Demokraten für quantitative und qualitative Verbesserungen sorgen und setzen dabei klare Prioritäten.

Quantitativer und qualitativer Ausbau vor Kostenfreiheit

Um die Betreuung zu sichern und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, muss aus Sicht der Freien Demokraten vorrangig in den Ausbau der Krippenplätze investiert werden. Dabei sei es nicht ausreichend, „nur“ zusätzliche Plätze zu schaffen. Die Bereitstellung kindgerechter und bedarfsorientierter Räumlichkeiten gehöre ebenso dazu wie gut qualifiziertes Personal. Nur durch genügend gut ausgebildetes Fachpersonal kann der Dreiklang der Aufgaben Bildung, Erziehung und Betreuung in den Kindertagesstätten gewährleistet werden. Die Qualität der Arbeit in den Kindertagesstätten hängt maßgeblich von den Menschen ab, die dort tagtäglich arbeiten. Viele tausend Erzieherinnen und Erzieher arbeiten äußerst engagiert und motiviert in den unterschiedlichsten Einrichtungen. Es ist wichtig, dass sie die bestmögliche Ausbildung erhalten. „Der Fachkräftemangel darf nicht dazu führen, dass Abstriche an den Anforderungen und den Qualitätsstandards gemacht werden, denn wir vertrauen diesen Menschen das Wichtigste an, das wir haben, und zwar unsere Kinder, und deshalb wollen wir, dass diese dort bestmöglich betreut und gefördert werden“, so Rock. Die Ausbildungsinhalte müssen an die Erkenntnisse der Fachwissenschaften und an die veränderten Herausforderungen angepasst werden. Darüber hinaus gilt es, den Arbeitsplatz Kindertageseinrichtung attraktiv zu gestalten, um die Fachkräfte nicht zu verlieren und neue zu gewinnen. Dazu gehört einerseits eine angemessene Bezahlung und Weiterentwicklungsmöglichkeiten und andererseits aber auch die gesellschaftliche Anerkennung der Arbeit, die dort verrichtet wird.

Immer wieder wird deutlich, dass Chancengerechtigkeit nicht erst in der Schule beginnt, sondern die Grundlagen bereits früher gelegt werden. Kindertagesstätten haben hier an Bedeutung gewonnen. Zentral ist deshalb auch die Schulvorbereitung, die in Hessen mit dem Bildungsund Erziehungsplan und dann auch mit dem Qualifizierten Schulvorbereitungsjahr in den Vordergrund gerückt ist. Die Kindertagesstätten bieten vielseitige Programme und Projekte vornehmlich für Kinder im letzten Kindergartenjahr. „Es ist uns ein zentrales Anliegen, dass alle Kinder optimal auf das erste Schuljahr vorbereitet werden, um ihnen den Einstieg zu erleichtern“, erklärt Rock und verweist auf das Konzept der Qualifizierten Schulvorbereitung, das von 2012 bis 2014, unter Verantwortung der liberalen Kultusministerin Nicola Beer, an 28 Standorten in Hessen als Modellversuch durchgeführt worden ist. „Die Evaluationsergebnisse waren durchweg positiv und zielführend. Gerade der Übergang von Kindertagesstätte zur Schule wurde oftmals als zentral für die Kinder beschrieben. Deshalb sei es richtig, dass sich sowohl die pädagogischen Fachkräfte der Tagesstätte als auch die Lehrkräfte der Grundschulen miteinander abstimmen. Rock und seine Fraktion wollen das Konzept auf freiwilliger Basis flächendeckend einführen.

Bedürfnisse der Eltern berücksichtigen

Nicht nur die Zusammenarbeit mit den Grundschulen, auch die mit den Eltern gilt es nach Ansicht der Freien Demokraten zu stärken. Durch das Kinderförderungsgesetz seien die elterlichen Partizipationsmöglichkeiten zwar erhöht worden, das Lebensumfeld der Kinder müsse aber noch mehr einbezogen und der Dialog mit den Eltern verfestigt werden. Rock schlägt hierfür die Einsetzung eines Landeselternbeirats vor. Darüber hinaus wollen er und seine Fraktion die Rahmenbedingungen für die Eltern verbessern. „Wir benötigen eine Kinderbetreuung, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht konterkariert, sich an den Lebenswirklichkeiten orientiert und nicht an Verwaltungsvorschriften“, begründet Rock die Forderung nach bedarfsgerechten Betreuungszeiten und die Entscheidungsmöglichkeit für Eltern, die Kindertagesstätte entweder wohnortnah oder in der Nähe zum Arbeitsplatz wählen zu dürfen. Erst, wenn die Freien Demokraten alle diese Maßnahmen erfüllt sehen, können aus ihrer Sicht die Gebühren entfallen.

 

Gemeinsam die Welt entdecken

Gastbeitrag von JUDITH GAST
Dipl.-Sozialpädagogin, Leiterin Städtische Kita Pusteblume, Hochheim am Main

Bei einem Rundgang durch unsere Kita „Pusteblume“ im Rahmen der Herbsttour von René Rock stand sie plötzlich im Raum, die Frage: Was darf ein Kind kosten? Und obwohl ich mich lange damit beschäftigte, eine Beantwortung mit numerischen Begriffen ist mir nicht möglich. Mit der „Währung“ der Kinder kenne ich mich aber gut aus: Bindung, Zuwendung, Begleitung und Förderung sind die Dinge, die unsere Kinder brauchen. Und auch, wenn er etwas „verstaubt“ daherkommt, möchte ich hier den Begriff des Kindergartens zur sinnbildlichen Veranschaulichung heranziehen. Denn, anders als das Wort Kindertagesstätte es inhaltlich ausdrückt, geht es in unseren Einrichtungen der frühkindlichen Bildung vielmehr um Prozessbegleitung als ums Tagesgeschäft. Die Kinder müssen, gleichsam den Pflanzen in einem Garten, in ihrem Wachsen begleitet werden. Es geht nicht um eine Aufbewahrung, während die Eltern arbeiten gehen, im Mittelpunkt unserer Arbeit muss die Bildung der Kinder, nicht nur deren Betreuung stehen. Dabei geht es um die Beobachtung von Bedürfnissen, Förderung von Fähigkeiten, das gemeinsame Entdecken der Welt (im Sinne von Co-Konstruktion und Partizipation) und das gezielte Arbeiten an Defiziten, um die kleinen Persönlichkeiten in ihrer individuellen Entwicklung zu begleiten. Aus der Neurowissenschaft wissen wir, dass die ersten Lebensjahre die prägendsten überhaupt sind. Hier wird der Grundstein gelegt für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung, für sprachliche und soziale Kompetenzen. Ein Kind, das mit einem großen Rucksack an erworbenen Kompetenzen in die Schule starten kann, wird sich seinen Aufgaben mit Freude, Zuversicht und Ausdauer stellen können. Es wird zu einem Menschen heranwachsen, der seine Gesellschaft und Zukunft aktiv mitgestalten kann. Und das Tolle ist, die Kinder bringen eigentlich alles mit: Sie sind von Geburt an lernfreudig und wissbegierig! Sie kommen mit einer großen Portion Neugier in unsere Kita. Wir greifen diese Freude am spielerischen Lernen auf, um gemeinsam mit den Kindern die Welt zu entdecken. Dabei suchen wir mit ihnen zusammen Antworten auf unterschiedlichste Fragen. Es wird gespielt, gebacken, gebastelt, experimentiert, geturnt und musiziert. Im Stuhlkreis besprechen die Kinder, was ihnen wichtig ist, bei Kinderkonferenzen lernen sie erstmals Züge der Demokratie kennen. Beim Spielen draußen und bei Ausflügen in die nähere Umgebung beobachten die Kinder den Jahreslauf und die Wunder der Natur. Das Aufwachsen in der Kindergruppe ermöglicht dem Kind dabei, mit anderen in Kontakt zu kommen. Es baut Freundschaften und Beziehungen zu den Kindern und Erziehern/Erzieherinnen auf. Beim Spielen mit den anderen lernen die Kinder selbstständiges Handeln und die Auseinandersetzung mit ihren Mitmenschen und der Umwelt. Ihre Selbstsicherheit wächst und sie können ein positives Selbstbild entwickeln. Auf diese Weise lernen sie, ihre Meinung zu finden und zu vertreten. Sie übernehmen Verantwortung für sich und andere und sind in der Lage, Konflikte zu bewältigen. Wir begegnen den Kindern daher in einer Kultur der Offenheit, des Hinhörens und Beobachtens und machen ein respektvolles Miteinander im Sinne der Partizipation für die Kinder erleb- und begreifbar.

Die Ausbildung der Erzieherinnen, das Studium der Pädagoginnen und etwaige Fortbildungen machen das Kita-Personal zu professionellen Fachkräften der frühkindlichen Bildung. Unsere Mitarbeiter sind hoch motiviert, da dieser Beruf oft mit Berufung einhergeht. Von der Politik wünsche ich mir, dass die Fachkräfte mehr Möglichkeiten bekommen, ihre Fähigkeiten einzusetzen und ihre Pläne und Vorstellungen in die Tat umzusetzen.

Um dem beschriebenen Bildungsanspruch gerecht zu werden, benötigen die Kitas aus meiner Sicht:

  • Kleinere Gruppen
    bei Gruppen mit 25 Kindern im Alter von 3 bis 7 Jahren ist individuelle Förderung oft mehr Wunsch als Realität
  • Mehr Personal
    neben den organisatorischen „Alltagsaufgaben“ muss Zeit für Beziehung und individuelle Hinwendung bleiben
  • Ausreichend Differenzierungsräume
    für Kleingruppenarbeiten, insbesondere für die Bereiche Sprache und Schulvorbereitung
  • Angemessene Vorbereitungszeit
    zur Dokumentation, Planung und Ausarbeitung von Angeboten gemäß dem Hessischen Bildungs- und Erziehungsplan sowie für Kooperationsgespräche mit Eltern
  • Reflexions- und Supervisionsgespräche
    zur professionellen Weiterbildung
  • Leitungsfreistellung
    zur Umsetzung einer kompetenten Teamführung, Konzeptions- und Qualitätsentwicklung