Schwarz + Grün = Weiter so mit dem Stillstand in Hessen

14.03.2019

Hessen kann mehr. Aber mit der neuen alten Regierung wird es auch weiterhin unter seinen Möglichkeiten bleiben.

Freitag, der 18. Januar 2019. Der Himmel über Wiesbaden soll heute überwiegend von Wolken bedeckt bleiben. So waren zumindest die Aussichten. Auch die für Hessens Zukunft? Es ist der Tag, an dem sich der 20. Hessische Landtag konstituiert.

Ungeduldig wartet Stefan Naas im Plenarsaal auf die Eröffnung der Sitzung. Seit 1992 ist er Mitglied der Freien Demokraten, seit heute auch Mitglied des Landtages. Der 45-Jährige hatte sich entschieden, den Bürgermeistersessel in Steinbach aufzugeben und für einen Sitz im Plenarsaal in Wiesbaden zu kandidieren. Auf diesem nimmt er heute zum ersten Mal Platz. Auf dem Stuhl neben ihm: Moritz Promny. Für den Unternehmer und Rechtsanwalt aus Südhessen ist es ebenfalls der erste Tag im Parlament. Mit Marion Schardt-Sauer, Oliver Stirböck und Yanki Pürsün sind drei weitere Freidemokraten erstmals in den Hessischen Landtag eingezogen. Seit November haben sie sich auf ihre neue Aufgabe, auf ihr neues Amt vorbereitet. Da wurden Büropläne gemacht, Arbeitsabläufe festgelegt, Mitarbeitergespräche geführt, die IT startklar gemacht und, und, und. Und heute geht es nun endlich los.

Auf der Tagesordnung der konstituierenden Sitzung stehen auch die Wahl des Ministerpräsidenten sowie die Vereidigung der neuen Minister. Mit 69 von 137 Stimmen wählt der Landtag den alten Landesvater Volker Bouffier zum neuen Landesvater. Sein mittlerweile drittes Kabinett bleibt so gut wie unverändert. Aufgrund ihrer Niederlage bei der Landtagswahl musste die CDU zwei Ministerposten an den Koalitionspartner abgeben – die Ressorts Soziales und Wissenschaft werden nun nicht mehr von Christdemokraten, sondern von Grünen besetzt. Ein Gesichtsverlust für die einst so starke Regierungspartei – das ist René Rock spätestens nach Durchsicht des schwarz-grünen Koalitionsvertrags deutlich geworden: „Es ist schon auffällig, wie in einzelnen Bereichen die konsequente Ideologisierung hin zu grünen Maßnahmen und Systemen durchgesetzt worden ist.“
Der Fraktionsvorsitzende der Freien Demokraten im Hessischen Landtag bezeichnet das 192-seitige Papier als Dokument der Ambitionslosigkeit. „Schwarz-Grün hat keine Idee, das Land voranzubringen. An keiner Stelle sind die dringend erforderlichen Trendwenden erkennbar. Nicht in der Bildung, nicht bei der Infrastruktur und auch nicht in der Energiepolitik“, fasst Rock zusammen, der auch energiepolitischer Sprecher seiner Fraktion ist. Er stört sich insbesondere daran, dass die Koalition an den aus seiner Sicht gescheiterten Instrumenten der Energiewende festhalte, anstatt endlich Bezahlbarkeit und Versorgungssicherheit in den Mittelpunkt zu stellen. Der Koalitionsvertrag hat keinen roten Faden, trägt aber eine grüne Handschrift.

Keine neuen Impulse für Hessens Wirtschaft

Die Freien Demokraten befürchten, dass Hessen in Zukunft noch mehr verwaltet als gestaltet wird. „Hessen verfolgt offenbar nicht mehr das Ziel, sich im Vergleich mit anderen Ländern an die Spitze setzen zu wollen“, fällt Stefan Naas auf, der für die Landtagsfraktion fortan die Wirtschafts- und Verkehrspolitik betreuen wird. So sei beispielsweise das Thema Fachkräfte nur marginal erwähnt und bei der Förderung von Start-ups mangele es der Koalition ganz augenscheinlich an eigenen Ideen. Zudem sei es ein schwerer Fehler, dass Schwarz-Grün in Bezug auf die Infrastruktur am Grundsatz Sanierung vor Neubau festhalte. „Für ein Transitland wie Hessen sind das keine guten Aussichten“, so Naas. „Die Landesregierung verschläft die Zukunft“, beobachtet auch Neufraktionsmitglied Oliver Stirböck. Der Offenbacher will die Digitalisierung in Hessen voranbringen – er hat die entsprechende Sprecherfunktion in seiner Fraktion übernommen –, sieht die erforderlichen Maßnahmen jedoch allein durch die Schaffung eines Ministerpostens nicht erfüllt. Zwar nimmt sich die Landesregierung vor, bis 2025 einen flächendeckenden Zugang zu gigabitfähigem Internet, mobiles WLAN und eine lückenlose Mobilfunkverbindung zu schaffen, konkrete Maßnahmen, wie diese Ziele erreicht werden sollen, scheint sie aber selbst noch nicht zu kennen. „Wir brauchen nicht wieder und wieder hübsch formulierte Absichtserklärungen, sondern endlich konkretes Handeln. Auch der ländliche Raum muss lebenswert und nicht nur liebenswert sein“, fordert Wiebke Knell. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende ist im Schwalm-Eder-Kreis zuhause und teilt die Sorgen der Menschen im ländlichen Raum. „Uns geht es natürlich um einen gescheiten Internetanschluss, uns geht es aber auch um die Fragen der öffentlichen Daseinsvorsorge, der medizinischen Versorgung und der Mobilität“, erklärt die 37-Jährige. Wenn der ländliche Raum für die Menschen attraktiver gestaltet werde – zum Arbeiten und zum Wohnen –, könne es aus Sicht der Freien Demokraten auch gelingen, die Wohnraumproblematik im Ballungsraum zu lösen. Dafür bedürfe es jedoch mehr Mut als der aktuelle Koalitionsvertrag aufzeige, kritisiert der wohnungsbaupolitische Sprecher Jürgen Lenders: „Schwarz-Grün versucht weiterhin viel im Klein-Klein zu fördern. Die grundsätzlichen Fragen der Bürokratie, des Flächenmangels und der Kostenbelastungen werden nach wie vor nicht angegangen. Damit wird es wohl auch in den nächsten fünf Jahren keine nennenswerte Entspannung auf dem Wohnungsmarkt geben können.“ Der Wohnraummangel war im Hessentrend des Hessischen Rundfunks als eines der größten Probleme in Hessen definiert worden.

Keine neuen Ideen für die Bildungspolitik

Das wichtigste politische Problem, das die hessischen Bürgerinnen und Bürger vordringlich gelöst wissen möchten, ist die Bildung. Ob Integration und Inklusion, Lehrermangel, Überbelastung von Lehrkräften und Schulleitungen oder der Ausbau des Ganztagsangebots – die Herausforderungen an Hessens Schulen sind in den vergangenen Jahren deutlich größer und vielschichtiger geworden. „Die meisten Probleme hat Lorz für sich gelöst, indem er sie ignoriert hat“, bewertet Moritz Promny das bisherige Vorgehen des alten und neuen Kultusministers. „Hessens Lehrkräfte und Leitungen dürfen nicht alleine gelassen werden. Unsere Schülerinnen und Schüler sollen beste Bildung von Anfang an erhalten. Dafür brauchen wir die bestmöglichen Bedingungen für alle“, fordert der schulpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion. Promny nimmt deshalb mit Bedauern zur Kenntnis, dass der Koalitionsvertrag keine oder nur wenige konkrete Maßnahmen vorsieht, die tatsächlich mit Stellen oder finanziellen Mitteln hinterlegt sind. Anders im Hochschulbereich. Hier sind die finanziellen Mittel im Koalitionsvertrag bereits festgeschrieben. „Das schränkt die Hochschulen ein, bevor die bevorstehenden Verhandlungen über den neuen Hochschulpakt überhaupt begonnen haben“, beklagt Matthias Büger, der sich für die Wahrung der Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit in Hessen einsetzen möchte. Weder für Kitas noch für Schulen oder Hochschulen – die Freien Demokraten können keine Qualitätsoffensive in der schwarz-grünen Bildungspolitik erkennen. Gerade in der frühkindlichen Bildung hätten sie gerne neue Akzente gesetzt. Zu ihrem Bedauern soll dieser Bereich auch in Zukunft nicht als bildungs-, sondern als sozialpolitisches Thema verortet und behandelt werden.

Im sozialpolitischen Ressort, das in der 20. Wahlperiode in grüner Verantwortung liegt, nimmt sich die Landesregierung eines Themas an, dem sie sich lange verschlossen hat: der Hebammenversorgung. Yanki Pürsün, der neue sozialpolitische Sprecher der Freien Demokraten, kennt das Problem aus seinem Wahlkreis und kämpft seit Jahren für bessere Bedingungen. Der Frankfurter begrüßt, dass sich die Koalition mit der Sachlage beschäftigt und den Bedarf an Hebammen und die Versorgungssituation belastbar ermitteln will. Auch die Frage einer geordneten und rechtlich gesicherten Zuwanderungspolitik wird in der neuen Wahlperiode ein zentrales Thema bleiben. Hier verspricht der Koalitionsvertrag allerdings keine Neuerungen: „Anstatt endlich die Blockadehaltung in der Frage der sicheren Drittstaaten im Bundesrat aufzulösen, dokumentieren CDU und Grüne ihre Uneinigkeit“, kritisiert Pürsün.

Kein Konzept für Hessens Zukunft

„Es ist wichtig, dass die Menschen das Vertrauen in den Rechtsstaat zurückgewinnen“, pflichtet der innenpolitische Sprecher Stefan Müller bei. Er beklagt, dass das Sicherheitsempfinden der hessischen Bevölkerung zurückgegangen sei – durch Terrorgefahr, Straßenkriminalität und Einbrüche. Vor diesem Hintergrund bewertet er den im Koalitionsvertrag vorgesehenen Ausbau der personellen und sachlichen Ausstattung von Polizei und Justiz als längst überfällig. Ausreichend sei dieser jedoch nicht. „Die Zahl der neuen Stellen wird dem steigenden Bedarf in Hessen nicht gerecht“, erklärt Müller. Zudem habe die Landesregierung nach wie vor keine Idee, wie sie ihr eigenes Personal vor der steigenden Anzahl von Angriffen schützen wolle.

Konzeptlosigkeit bescheinigt auch die neue finanzpolitische Sprecherin der Freien Demokraten, Marion Schardt-Sauer, dem Koalitionsvertrag. Die Ziele der schwarz-grünen Landesregierung seien anhand der vorgesehenen Investitionen nicht zu erkennen. „Da gibt es für alles ein bisschen. Insgesamt versucht die Koalition einen Spagat zwischen Spendierhose und Sparsamkeit hinzulegen. Das könnte spannend werden, wenn die Steuereinnahmen nicht mehr so sprudeln wie heute“, erklärt die Haushaltspolitikerin.

Aus Sicht der Freien Demokraten bringt der Koalitionsvertrag für die 20. Wahlperiode nicht den erhofften Aufbruch, sondern sei vielmehr die Fortschreibung eines Fahrplans in die Mittelmäßigkeit. „Damit dümpelt das Land weiter in der Selbstgefälligkeit zweier Parteien, deren Grundhaltung nicht die Innovation ist, sondern das krampfhafte Festhalten am Alten“, schlussfolgert Rock. Fünf verlorene Jahre stünden Hessen bevor. Das habe das Land im Herzen Deutschlands nicht verdient.