Das Corona-Protokoll

01.06.2020

Die Atemwegserkrankung COVID-19 trat erstmals im Dezember 2019 im chinesischen Wuhan auf. Von dort aus verbreitete sich das neuartige Corona-Virus schnell auf andere Kontinente. Im Januar 2020 gab es die ersten Infektionen in Deutschland. Ende Februar erreichte das Corona-Virus dann auch Hessen – eine Bedrohung, mit der die hessische Landespolitik bisher niemals konfrontiert gewesen war.

Freitag, 13. März 2020. Seit geraumer Zeit schwebt Corona wie ein Damoklesschwert über Deutschland. Gestern haben die Länderchefs und Kanzlerin Merkel bis tief in die Nacht mit Experten des Robert-Koch-Instituts und der Berliner Charité über mögliche Schritte zur Eindämmung des Virus beraten. Auch Schulschließungen wurden erwogen. Und vorerst wieder verworfen. Hessens Ministerpräsident hatte sich ebenfalls dagegen ausgesprochen.

René Rock ist auf dem Weg nach Wiesbaden. Er telefoniert mit SPD-Kollegin Nancy Faeser. Die Vorsitzenden der beiden Oppositionsfraktionen sehen den gestrigen Beschluss kritisch. An diesem Freitag hat sich die Zahl der Corona-Infizierten im Vergleich zum Vortag fast verdoppelt. Rock hat die Bilder aus Italien vor Augen. „Wir dürfen uns kein weiteres Zögern leisten. Es müssen jetzt schnell klare Entscheidungen getroffen werden, damit wir nicht der Entwicklung der Lage weiter hinterherlaufen“, sagt der langjährige Gesundheitspolitiker. Er weiß, dass die Schließung der Schulen und Kitas die Menschen im Land vor große Herausforderungen stellen wird. In einer gemeinsamen Pressemitteilung fordern Freie Demokraten und Sozialdemokraten schließlich die Landesregierung auf, die Schulen und Kitas ab dem kommenden Montag geschlossen zu halten. „Wir erwarten jetzt Führung von der Landesregierung, dann hat sie uns auch an ihrer Seite“, heißt es in der Mitteilung. Nur wenige Minuten später läuft die Meldung über den Ticker. Ebenso wie die, dass Bundesländer wie das Saarland, Bayern und Niedersachsen flächendeckend ihre Schulen schließen, Hessens Krankenhäuser ab sofort Patientenbesuche verbieten und die Bundesliga den Spielbetrieb aussetzt. Noch am frühen Abend informiert Ministerpräsident Bouffier das Land, dass Hessens Schülerinnen und Schüler ab sofort zuhause bleiben sollen.

Gleiches gilt nunmehr auch für die Abgeordneten und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der FDP-Landtagsfraktion. „Es zahlt sich aus, dass wir als Fraktion digital aufgestellt sind und unser Team mobil arbeiten kann“, sagt Jürgen Lenders. Erst im vergangenen Jahr hatte sich die Fraktion in Bezug auf ihr Raum- und Arbeitskonzept neu aufgestellt. Für nächsten Dienstag hat der Parlamentarische Geschäftsführer eine rein digitale Sitzung der Fraktion zur Lageberatung angesetzt.

Montag, 16. März 2020. Der erste offizielle Home-Office-Tag der Landtagsfraktion beginnt mit der üblichen Morgen-Schalte zur Beratung der Medienlage. Als weiteren Schritt im Kampf gegen das Corona-Virus hat die Landesregierung am Samstag Veranstaltungen mit mehr als 100 Teilnehmern verboten und Bürgerinnen und Bürger dazu aufgefordert, persönliche Kontakte einzuschränken. Yanki Pürsün sagt, dass er Maßnahmen für das Gesundheitswesen vermisse. Das Wochenende hat er damit verbracht, einen Forderungskatalog auszuarbeiten. „Das Land muss weitere Intensivbetten und Beatmungsgeräte organisieren und es muss die Anschaffung von medizinischem Gerät für die Krankenhäuser finanziell sicherstellen“, erklärt der gesundheitspolitische Sprecher seinen Kollegen. Die Fraktion wird nachher einen Schutzschirm für Kliniken fordern. Auch sollen freie Krankenhaus- und Laborkapazitäten zentral erfasst werden. „Für alle Corona-Erkrankten, die eine medizinische Behandlung benötigen, muss das Gesundheitssystem bestmöglich ausgerüstet sein und funktionieren“, sagt Pürsün.

Am Nachmittag tagt erneut das Kabinett. Anschließend kündigt die Landesregierung an, dass ab dem kommenden Mittwoch alle Bars, Diskotheken, Theater und Museen sowie Sportanlagen, Fitnessstudios und Spielplätze sowie große Teile des Einzelhandels geschlossen bleiben.

Dienstag, 17. März 2020. Um 11:30 Uhr beginnt die erste rein digitale Fraktionssitzung der Freien Demokraten im Hessischen Landtag. Vom heimischen Schreibtischberichtet René Rock von der gestrigen Telefonkonferenz mit dem Ministerpräsidenten. Dieser hat angemeldet, einen Nachtragshaushalt vorzulegen, der im verkürzten Verfahren vom Parlament bewilligt werden müsse. Marion Schardt-Sauer, die in einer Telefonschalte mit dem Finanzminister ebenfalls Informationen dazu erhalten hat, ergänzt, dass Soforthilfen auf den Weg gebracht und Mittel für Kredite bereitgestellt werden sollen. Die Fraktion beschließt, der Landesregierung für ihr Vorhaben Unterstützung zu signalisieren, gleichzeitig will man auch einen Punkteplan zur akuten Rettung der Wirtschaft fordern. Zum Ende der Videokonferenz informiert Jürgen Lenders die Fraktion über den geplanten Ablauf der am Dienstag anberaumten Notsitzung des Landtags. Es seien keine Besucher mehr zugelassen; die Hygiene- und Abstandsregeln müssten eingehalten werden, Abgeordnete deshalb auf die Besuchertribüne und das Foyer ausweichen. Mit den anderen Fraktionen habe man vereinbart, dass trotz Abwesenheiten Einzelner die Mehrheitsverhältnisse abgebildet werden. Die FDP-Fraktion will das Vorhaben unterstützen. Gerade angesichts der bestehenden Herausforderungen muss das Parlament handlungsfähig bleiben, um wichtige Entscheidungen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger fällen zu können.

Freitag, 20. März 2020. Die Fraktion hat zu ihrer ersten digitalen Pressekonferenz geladen. Im virtuellen Raum haben sich schon um kurz vor 11 Uhr einige Journalisten zusammengefunden. Sie sind neugierig: auf den Ablauf der bevorstehenden Parlamentssitzung, auf die Vorschläge und Forderungen der FDP und vielleicht auch auf das Home-Office des Fraktionsvorsitzenden und der Kollegen. „Wir sehen in diesen Tagen, wie wichtig digitale Kommunikation ist“, sagt Rock. Er erläutert den Pressevertretern, dass die Digitalisierung in allen Lebensbereichen vorangetrieben werden müsse, von Schule über Verwaltung bis zum Gesundheitswesen. Auch seine Sorge um die hessische Wirtschaft thematisiert er. „Klar ist, dass die Folgen immens sein werden. Deshalb darf die Landesregierung jetzt nicht auf Berlin warten, sondern muss selbst aktiv werden, um unbürokratisch zu helfen. Je kleiner das Unternehmen, umso schneller müssen Hilfen her“, untermauert er seine Forderung. Seit einigen Tagen erreichen ihn und seine Kollegen Hilferufe insbesondere von Kleingewerbetreibenden, Solo-Selbstständigen und Freiberuflern.

Am Nachmittag lädt die Landesregierung ebenfalls zu einer Pressekonferenz. Sie findet wie üblich in der Staatskanzlei statt. Bouffier verkündet eine Verschärfung der bisherigen Maßnahmen. Ab Samstag sind in Hessen Ansammlungen und Zusammenkünfte an öffentlichen Orten von mehr als fünf Personen untersagt.

Auf dem Instagram-Kanal der Fraktion bewertet Yanki Pürsün die Maßnahmen und gibt eine Einschätzung zur Entwicklung der Infektionszahlen. Diese sind in Hessen mittlerweile auf 1265 angestiegen. Es ist die erste Folge des „Corona-Briefings“, das ab sofort mehrere hundert Menschen täglich verfolgen werden.

Dienstag, 24. März 2020. Die „Notsitzung“ des Landtags beginnt um 11 Uhr. In seiner Regierungserklärung bezeichnet Volker Bouffier die Corona-Krise als Herausforderung, wie es sie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr gegeben habe. Er gibt eine angemessene Einschätzung der Lage ab, sie liefert kaum Angriffsfläche für die Opposition. In seiner Rede warnt René Rock nochmal eindringlich vor den vielseitigen Herausforderungen. „Der notwendige Kampf gegen das Virus darf nicht zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz einiger Bürger führen, die für das Corona-Virus genauso wenig verantwortlich sind wie jeder andere Bürger auch“, sagt er. Dann wird der Nachtragshaushalt eingebracht. „Große Unternehmen, kleine und mittelständische Unternehmen, aber auch die vielen Kleinstunternehmer und Solo-Selbstständige sowie Freischaffende – sie alle waren und sind Teil unserer starken hessischen Wirtschaft. Wir wollen, dass sie die Stärke auch zukünftig behalten“, begründet Marion Schardt-Sauer die Zustimmung der FDP-Fraktion. Die haushaltspolitische Sprecherin der Freien Demokraten betont die Notwendigkeit, dass die finanziellen Hilfen schnell, unbürokratisch und zielgenau ankommen müssen – bestenfalls bis 1. April. „Für uns liegt es auf der Hand, dass die Auszahlung am schnellsten durch die Finanzämter erfolgen kann“, sagt Schardt-Sauer. Am Ende des Tages verabschiedet der Hessische Landtag den Nachtragshaushalt einstimmig. Auf diese Weise sollen Soforthilfen in Höhe von zwei Milliarden Euro geleistet werden können.

Mittwoch, 1. April 2020. Stefan Naas bereitet sich auf ein Live-Gespräch mit Facebook-Usern vor. Seit Montag können in Hessen die Soforthilfen beantragt werden. Der wirtschaftspolitische Sprecher will wissen, wo Probleme liegen. Die Berichte ähneln sich: Wer Geld zurückgelegt hat oder auf laufende Kredite zurückgreifen kann, bekommt den Antrag nicht bewilligt. „Das ist ungerecht gegenüber denjenigen, die gut gewirtschaftet haben oder einen Kredit für eine größere Investition aufgenommen haben“, sagt Naas in die Laptop-Kamera. Ihm ist wichtig, dass alle Unternehmen und Freiberufler entschädigt werden, die ihre Geschäfte aufgrund der Corona-Anordnungen gar nicht mehr oder nur eingeschränkt betreiben können. Dieser Verlust kann seiner Ansicht nach nicht durch ein Bankdarlehen reguliert werden. „Für ein Darlehen muss der Unternehmer eine wirtschaftliche Perspektive vorweisen. Die kann aber durch die Corona-Krise infrage gestellt sein“, erklärt Naas anschließend in einer Mitteilung an die Presse. „Hessens Unternehmer haben mehr Unterstützung verdient, als sie derzeit bekommen“, wird er nachher in der Zeitung zitiert. 

Donnerstag, 2 April 2020. In einer Telefonkonferenz mit den wirtschaftspolitischen Sprechern der Fraktionen berichtet Tarek Al-Wazir zum aktuellen Stand der Soforthilfen. Die Befürchtungen von Stefan Naas werden vom Wirtschaftsminister bestätigt. Die Auszahlung des dringend benötigten Geldes klappt nicht so schnell und unbürokratisch, wie es in dieser Situation geboten ist.

Dienstag, 7. April 2020. Es ist Weltgesundheitstag. Seit mehr als zwei Wochen gilt ein weitgehendes Kontaktverbot. Im Corona-Briefing berichtet Yanki Pürsün, dass die Zahl der Infizierten in Hessen nur moderat, die Zahl der Genesenen dafür stetig steigt. „Das zeigt, dass die Maßnahmen greifen“, sagt der Gesundheitspolitiker. Die Freien Demokraten im Hessischen Landtag haben die Landesregierung aufgefordert, eine Strategie zum Ausstieg aus den Corona-Einschränkungen vorzulegen. „Allem voran steht stets der bestmögliche Schutz von Gesundheit und Menschenleben, aber wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern auch aufzeigen, wie der Weg zurück in die Normalität aussehen soll“, heißt es im Namen von René Rock in der Mitteilung. Die Fraktion plädiert dafür, die Eingriffe in Freiheits- und Grundrechte auf das notwendige Maß zu beschränken. „Jede Einschränkung darf nur so lange aufrechterhalten werden, wie sie gesundheitspolitisch erforderlich ist. Die Landesregierung muss deshalb deutlich machen, welche Schritte sie plant“, lautet die Forderung.

Dienstag, 14. April 2020. Trotz Osterferien treffen sich Abgeordnete und Mitarbeiter zur Fraktionssitzung. Die Videokonferenz ist mittlerweile für alle Normalität geworden. Wie vieles andere auch: „Die Menschen haben das Kontaktverbot alles in allem gut verinnerlicht und halten sich weitestgehend an die Vorgaben“, stellt Yanki Pürsün zu Beginn der Sitzung fest. „Die Notbremsung vor vier Wochen war richtig – aber jetzt ist es Zeit, sich Gedanken zu machen, wie das öffentliche Leben langsam wieder Fahrt aufnehmen kann“, ergänzt er. Allen Abgeordneten liegt der von ihm vorgeschlagene Plan zur Lockerung der Maßnahmen vor. Pürsün weist darauf hin, dass die Einschränkungen auch Folgen für das soziale Leben und die psychische Gesundheit der Menschen haben. Die Fraktion will sich dafür einsetzen, dass alle derzeit geltenden Maßnahmen auf Nutzen und Wirkung hin überprüft werden. Als wesentliche Indikatoren für die Wirkung und mögliche Lockerung von Einschränkungen schlagen sie die Anzahl der freien Intensivbetten, die Forschungserkenntnisse über die Übertragung des Virus, die Reproduktionsrate, die Verfügbarkeit von Schutzmaterial sowie das Verhalten der Bevölkerung vor. Darauf aufbauend und immer unter der Maßgabe, dass sich die Infektionszahlen weiter positiv entwickeln, sollten nun Lockerungen beschlossen werden. Stefan Naas kündigt an, ein Corona-Hilfe-Gesetz auf den Weg bringen zu wollen, das Unterstützung für Hessens Wirtschaft über die Soforthilfen hinaus vorsieht. 

Donnerstag, 16. April 2020. Erneut hat die Landesregierung zu einer Pressekonferenz geladen. Am Vorabend hatten die Länderchefs mit der Bundeskanzlerin das weitere Vorgehen in der Corona-Krise beraten. Zahlreiche Details sind bereits bekannt. Trotzdem wartet das Land gespannt auf die Entscheidungen der Hessischen Landesregierung. Volker Bouffier verkündet, dass die Schulen in Hessen ab dem 27. April schrittweise wieder geöffnet werden. Auch die Beschränkungen im Einzelhandel werden gelockert, die meisten Geschäfte dürfen unter Auflagen wieder öffnen. In einer gemeinsamen Video-Pressekonferenz mit Nancy Faeser bewertet René Rock das Vorgehen als sinnvollen Kompromiss zwischen strengem Gesundheitsschutz und dem Bemühen um eine Rückkehr zur Normalität. Teile der getroffenen Festlegungen sind identisch mit dem Maßnahmenpapier, das seine Fraktion am Dienstag dieser Woche vorgestellt hat.