Hessens Verfassung ins digitale Zeitalter führen
Die Debatten im Hessischen Landtag sind selten von großer Einigkeit geprägt. Zu groß sind im Regelfall die Differenzen zwischen Regierung und Opposition. Anders im Mai 2018. „Die heutige Debatte ist historisch!“ Jörg-Uwe Hahn, seit mehr als 30 Jahren Mitglied des Hessischen Landtags, steht am Rednerpult und ist sichtlich stolz – stolz auf den Landtag, aber vor allem auf die Arbeit der Fraktion der Freien Demokraten.
Auf der Tagesordnung der heutigen Plenarsitzung stehen die dritten Lesungen von insgesamt 15 Gesetzentwürfen. Diese haben die Fraktionen von CDU, SPD, Grüne und FDP gemeinsam eingebracht und werden mit entsprechender Mehrheit heute vom Hessischen Landtag verabschiedet. Es sind Gesetzentwürfe zur Änderung der Hessischen Verfassung. „Wir haben heute die umfangreichste Verfassungsreform in der Geschichte Hessens auf den Weg gebracht. Jetzt müssen die Bürgerinnen und Bürger in Hessen ihre Zustimmung geben. Erst dann wird die ganze Arbeit auch ihre praktische Wirkung entfalten“, sagt Hahn als er aus dem Plenarsaal tritt.
Seit ihrer Verabschiedung im Dezember 1946 wurde die Verfassung des Landes Hessen weder neu gefasst noch umfassend reformiert. In 72 Jahren gab es nur acht Änderungen. Da verwundert es nicht, dass sie mittlerweile in die Jahre gekommen ist. Und das nicht nur, weil sie noch die Todesstrafe kennt. Auch darüber hinaus ist Hessens Verfassung mehr ein historisches Dokument, das eine vollkommen veraltete Rechtslage abbildet und auf diverse verfassungsrechtliche Fragestellungen keine Antwort parat hat.
Ein modernes Hessen braucht eine moderne Verfassung
Damit Hessens Verfassung gültige Rechtssätze für seine Bürgerinnen und Bürger, für die Staatsorganisation und das Verhältnis der Gewalten untereinander geben kann, setzte der Landtag im März 2016 die Enquetekommission „Verfassungskonvent zur Änderung der Verfassung des Landes Hessen“ ein. Den vom Hessischen Landtag angestoßenen Reformprozess hatten die Freien Demokraten von Anfang an begrüßt und im Fortgang maßgeblich gestaltet. Vertreten durch den ehemaligen Justizminister des Landes Hessen, Jörg-Uwe Hahn, erarbeitete die Fraktion zahlreiche Vorschläge, wie eine moderne Verfassung des Landes Hessens ausgestaltet sein sollte. „Unser Ziel war immer eine umfassende Reform, die die Hessische Verfassung von ihren nicht mehr zeitgemäßen Vorschriften befreit, die Grundlage für eine moderne Staatsstruktur schafft und den Menschen in Hessen mehr Bürgerrechte zuerkennt“, so Hahn.
Dieses Ziel ist erreicht – zumindest vorerst. Der Landtag wird den hessischen Bürgerinnen und Bürgern insgesamt 15 Reformvorschläge vorlegen, über die sie zeitgleich mit der Landtagswahl am 28. Oktober 2018 abstimmen sollen. Dabei soll nicht nur endlich die Todesstrafe aus der Hessischen Verfassung gestrichen und das passive Wahlrecht zum Hessischen Landtag auf 18 Jahre gesenkt sondern zahlreiche weitere Rechte und Staatsziele aufgenommen werden.
Moderner Staat und mehr Bürgerrechte
Eine der wesentlichen Neuerungen stellt der von den Freien Demokraten initiierte Artikel 12a dar. Dieser sieht ein Datenschutzgrundrecht und ein Computergrundrecht vor. „Ich freue mich, dass wir die übrigen Fraktionen von unserer Idee überzeugen konnten. Der Artikel dient dem Schutz der Privatsphäre im digitalen Zeitalter und hilft, die Computer der Bürgerinnen und Bürger vor heimlichen Zugriffen zu bewahren“, so Hahn. Auch über die ebenfalls auf Vorschlag seiner Fraktion erfolgte Aufnahme des Staatsziels Infrastruktur ist Hahn glücklich. Das Staatsziel sei geeignet, den Straßen- und Breitbandausbau zu forcieren und ermögliche damit den Menschen in Stadt und Land Chancengerechtigkeit.
Ein weiterer Reformvorschlag, der auf eine Initiative der Freien Demokraten zurück geht, ist die Senkung der Hürden für Volksbegehren und Volksabstimmungen. „Wir möchten die Menschen an Entscheidungsprozessen stärker beteiligen und zugleich verhindern, dass sich organisierte Minderheiten gegen die schweigende Mehrheit durchsetzen“, erklärt Jurist Hahn. Deshalb sollen künftig schon Unterschriften von 5 Prozent – statt wie bisher von 20 Prozent – der Stimmberechtigten ausreichen, um eine Volksabstimmung zu erwirken. Die Volksabstimmung soll dann erfolgreich sein, wenn die Mehrheit der abgegebenen Stimmen für die Abstimmung votiert und zugleich 25 Prozent der Wahlberechtigten repräsentiert.
Amtszeitbegrenzung und Stärkung der Opposition bleiben auf der Strecke
Längst nicht alle der über 250 von der Enquetekommission vorgeschlagenen Ideen haben es auf die Liste der gemeinsamen Reformvorschläge des Landtags geschafft. So hatten sich die Freien Demokraten vor allem für zwei weitere Neugestaltungen stark gemacht. „Um Politikverdrossenheit entgegenzuwirken und keine Kluft zwischen Volk und Volksvertretern aufkommen zu lassen, wollen wir die Amtszeit des Ministerpräsidenten auf zwei Amtszeiten begrenzen“, erläutert Hahn den Vorstoß. Darüber hinaus will seine Fraktion die Parlamentsminderheitenrechte stärken, indem die Opposition als grundlegender Bestandteil der parlamentarischen Demokratie anerkannt werden soll. „Das Parlament kontrolliert die Regierung. Aber es ist die Opposition, die diese für die Demokratie herausragend wichtige Aufgabe wahrnimmt. Bislang kennt die Hessische Verfassung aber keine Minderheitenrechte. Diesen Konstruktionsfehler wollen wir beheben“, erklärt er. Mit beiden Vorschlägen haben sich die Freien Demokraten nicht durchsetzen können, weshalb die Fraktion zwei weitere Gesetzentwürfe in das Verfahren geschickt hat. Auch wenn beide Gesetze keine Mehrheit finden: die kleinste Fraktion des Hessischen Landtags zeigt sich zufrieden. „Wir wollten kein Reförmchen, sondern eine Reform, die den Namen verdient. Dieses Ziel haben wir parlamentarisch erreicht“, betont Hahn. Die gesammelten Reformvorschläge hat er unter dem Arm klemmen: „Diese Entwürfe – insbesondere die von uns initiierten Vorschläge für ein Digitalisierungsgrundrecht und für ein Staatsziel Infrastruktur – sind geeignet, um unsere Hessische Verfassung in das digitale Zeitalter zu führen. Sie bieten einen Mehrwert für jede Bürgerin und jeden Bürger in Hessen.“ Davon überzeugt werden die Freien Demokraten nun kräftig die „Werbetrommel“ rühren. Bis zur Volksabstimmung am 28. Oktober geht es darum, die Bürger über die geplanten Verfassungsänderungen zu informieren und um Zustimmung zu werben. Denn erst dann wird die Arbeit der Enquetekommission, des Landtags, der Fraktion der Freien Demokraten und die gesamten Kraftanstrengungen Hahns auch praktische Wirkung entfalten können.
Mehr dazu auch auf der offiziellen Homepage des Hessischen Landtags
„15 Entscheidungen für Hessens Verfassung“ (externer Link)