Die Folgen des Krieges

01.04.2022

Es ist mehr als einen Monat her – es war in der Nacht zum letzten Sitzungstag des Hessischen Landtags im Februar – dass Russland die Ukraine angegriffen und damit Entsetzen in ganz Europa ausgelöst hatte. Während der Hessische Landtag in seiner Sitzung am 24. Februar 2022 den russischen Angriffskrieg verurteilt und seine Solidarität zur Ukraine bekundet hatte, standen in der vergangenen Sitzungswoche vor allem die Auswirkungen auf sowie die notwendigen politischen Maßnahmen für Hessen im Vordergrund. So wurde ebenso über die Unterstützung für die mittlerweile mehr als vier Millionen Geflüchteten beraten wie auch über die Möglichkeiten zur Kompensation von Ernte- und Exportausfällen in der Ukraine und in Russland diskutiert. Außer um die Bewältigung der Folgen des Krieges für Hessen ging es auch darum, inwiefern der Standort durch eine moderne Wirtschaft und Infrastruktur für die Zukunft gestärkt werden kann.

Unterstützung für Geflüchtete leisten

Im Rahmen einer Regierungserklärung des Ministerpräsidenten bekundete der Hessische Landtag erneut seine Solidarität zur Ukraine und diskutierte die durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gestellten Herausforderungen für Hessen. In der Debatte verurteilte auch der Fraktionsvorsitzende der Freien Demokraten den Krieg als Verbrechen. „Es findet ein Massenmord an der ukrainischen Zivilbevölkerung statt. Wer Bomben auf Kinderheime wirft, wer Zivilisten beschießt, ist ein Kriegsverbrecher“, konstatierte René Rock. Er nahm Bezug auf die von Bundeskanzler Scholz erwähnte Zeitenwende. Diese bedeute vor allem eine Hinwendung zur Realität, denn insbesondere in Deutschland sei das Verständnis für Putin sehr ausgeprägt gewesen. „Putin hat es verstanden, deutsche Politik zu beeinflussen“, sagte Rock. „Zeitenwende muss deshalb heißen, alle Abhängigkeiten schnellstmöglich zu beenden, alle Liefer- und Wirtschaftsbeziehungen auf ein absolutes Minimum zu reduzieren und alle Profiteure des Putin-Regimes zu sanktionieren.“ Diese Sätze müssten auch in Hessen gelten und erst recht für Unternehmen, an denen das Land Hessen beteiligt sei. In diesem Zusammenhang nannte Rock beispielhaft die Russland-Geschäfte der Fraport und der Messe.

Darüber hinaus forderte Rock dazu auf, auch in anderen Bereichen zu einer Zeitenwende beizutragen. So solle die Landesregierung mit den Kommunen im Bereich des Zivilschutzes Verantwortung tragen und den Schutz von sensiblen Einrichtungen wie der lebensnotwendigen Strom- und Wasserversorgung vor konventionellen wie auch vor Cyber-Attacken neu bewerten sowie gegebenenfalls Konsequenzen ziehen. Auch müsse sichergestellt werden, dass das große Engagement der Bürgerinnen und Bürger bei der Aufnahme und Unterstützung Geflüchteter erhalten bleiben könne und das Vertrauen der vielen Freiwilligen nicht verlorengehe: „Wir brauchen schnelle, unbürokratische Lösungen und Unterstützungsmöglichkeiten statt Zuständigkeitsdiskussionen“, verdeutlichte Rock. Aktuell liege der Schwerpunkt außer auf der Unterbringung der Menschen auf der Integration der vielen ukrainischen Kinder in Kindergärten und Schulen. Schließlich forderte Rock den Ausbau der Kapazitäten zur Betreuung unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter sowie die Sicherstellung einer schnellen Aufnahme von pflege- und betreuungsbedürftigen Menschen in entsprechenden Einrichtungen. 

„Der Angriff Russlands auf die Ukraine hat alles verändert. Diese bittere Erkenntnis müssen wir verstehen und unsere Konsequenzen ziehen. Es gibt kein Zurück zur Normalität“, erklärte der Vorsitzende der Fraktion der Freien Demokraten abschließend. Es sei die Aufgabe des Landtags und der Landesregierung, das nun Notwendige zu tun, um die Menschen aus der Ukraine bestmöglich zu unterstützen – vor Ort und hier in Hessen.

Nahrungsmittelproduktion erhöhen

Der Krieg in der Ukraine hat auch Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln. Das merken wir nicht nur an leeren Supermarktregalen beim Speiseöl, sondern auch bei den Preisen für Getreideprodukte. Was hierzulande erstmal nur eine Sache des Preises ist, kann in Teilen der Welt zu Hungerkrisen und einer humanitären Krise führen. Vor diesem Hintergrund haben die Freien Demokraten die Ernährungssicherheit diese Woche zu ihrem Schwerpunktthema im Landtag gemacht. „Es ist jetzt an der Zeit, alle Produktionskapazitäten zu nutzen“, forderte Wiebke Knell und schlug sowohl kurzfristige als auch mittelfristige Maßnahmen für eine Wende in der Agrarpolitik vor. „Unsere Landwirte könnten mehr produzieren, wenn die Politik sie lassen würde.“ 

Ein wesentlicher Aspekt seien vorhandene Flächenreserven. „Die EU bezahlt Landwirte dafür, dass sie Flächen nicht bewirtschaften“, konstatierte die landwirtschaftspolitische Sprecherin der Freien Demokraten mit Blick auf stillgelegte Flächen, für deren Nicht-Bewirtschaftung Landwirte EU-Beihilfen bekommen. Laut einer Erhebung aus 2020 liegen bundesweit knapp 360.000 Hektar still, in Hessen sind es im vergangenen Jahr mehr als 18.000 Hektar gewesen – das entspricht 25.000 Fußballfeldern. Würden diese Flächen für den Anbau von Getreide freigegeben, könnten bei einem Ertrag von 3,5 Tonnen Weizen pro Hektar deutschlandweit zusätzlich 1,26 Millionen Tonnen Weizen erzeugt werden, rechnete Knell vor. „Alles was man tun muss, ist, Landwirten zu erlauben, ihre eigenen Flächen zu bewirtschaften.“ In der EU beobachtet Knell mittlerweile eine Bewegung, was die Brachflächen angeht, nun müsse auch von der Landesregierung ein entsprechendes Signal kommen.

Auch in Bezug auf die sogenannten roten Gebiete, in denen weniger Dünger verwendet werden darf, forderte Knell ein Umdenken. Die Unterdüngung habe zu niedrigeren Erträgen und schlechterer Qualität der Ernte geführt. „Deswegen ist auch das eine Maßnahme, die wir uns zumindest temporär gar nicht leisten können“, sagte Knell. Mittelfristig müsse außerdem darüber nachgedacht werden, ob es in einer Situation, in der maximale Erträge gebraucht würden, sinnvoll sei, ein planwirtschaftliches Ziel von 25 Prozent Ökolandbau bis 2025 in Hessen weiter zu verfolgen.

In ihrem Antrag forderten die Freien Demokraten darüber hinaus eine Neubewertung dessen, was in der europäischen Agrarpolitik in Planung ist. „Es wäre jetzt Zeit für eine starke Stimme Hessens für die Landwirtschaft, zum Beispiel durch eine Bundesratsinitiative“, sagte Knell und forderte zum einen den Verzicht auf weitere Beschränkungen für die Landwirtschaft, zum anderen die Aufnahme der Ernährungssicherheit in den Green Deal. „Lebensmittel zu produzieren ist die ureigene Aufgabe der Landwirtschaft. Wir brauchen keine staatlich finanzierten Landschaftsgärtner, sondern unternehmerische Landwirte, die damit ihr Geld verdienen, dass sie Nahrungsmittel erzeugen“, erklärte Knell. „Wir können aus Hessen heraus nicht die Welt ernähren, aber wir haben die Pflicht, unseren Beitrag dazu zu leisten“, mahnte sie abschließend an. 

Messestandort Frankfurt stärken

Während die ökonomische Bedeutung der Frankfurter Messe normalerweise weit über die Grenzen der Stadt hinausgeht und hessenweit rund 24.000 Arbeitsplätze dem Messegeschäft zuzurechnen sind, ist das Geschäft mit Beginn der Corona-Pandemie drastisch eingebrochen. Nicht nur in Hessen, sondern weltweit wurden nahezu alle Messen abgesagt oder digital durchgeführt. „Beim weltweit größten Messe-, Kongress-, und Eventveranstalter mit eigenem Gelände hat diese Krise tiefe Spuren hinterlassen“, mahnte Stefan Naas diese Woche im Landtag an. Zwar hatten die hessische Landesregierung und die Stadt Frankfurt, die zusammen Gesellschafter der Messe Frankfurt sind, Mitte März ein 250 Millionen Euro schweres Unterstützungspaket bereitgestellt, um die Zahlungsfähigkeit sicherzustellen, allerdings reicht dies nach Auffassung der Freien Demokraten als Unterstützung für den Messestandort Frankfurt nicht aus. „Das ist das, was dringend notwendig war, damit die Messe überlebt“, urteilte der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Fraktion. „Jetzt geht es aber um mehr. Jetzt geht es um die Zukunft des Messestandorts, und da darf sich die Landesregierung nicht zurücklehnen“, forderte Naas. Die Messe sei ein zentrales Instrument der hessischen Wirtschaftspolitik und neben dem Frankfurter Flughafen eine von zwei wesentlichen wirtschaftlichen Beteiligungen des Landes. Insofern habe die Landesregierung alle Möglichkeiten, die Messe wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Das Gegenteil sei aber aktuell der Fall: Naas warf dem hessischen Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir vor, gemeinsam mit Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann die IAA vertrieben zu haben und erinnerte daran, dass sich die Fashion Week nach einem kurzen Gastspiel wieder aus Frankfurt zurückgezogen hat und nun auch noch das Aus der traditionsreichen Musikmesse besiegelt worden war. „Eine solche Politik können wir uns in Zukunft nicht mehr leisten. Es braucht einen tragfähigen Zukunftsplan, um konkurrenzfähig zu bleiben“, sagte Naas mit Blick auf den wachsenden Trend für hybride Veranstaltungen. Dabei müsse evaluiert werden, welche Investitionen aktuell notwendig seien. Investitionen, die aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation während der Corona-Krise verschoben wurden, müssten nun nachgeholt werden. Schließlich sei die Landesregierung darüber hinaus aufgefordert, den entsprechenden Anteil der benötigten Mittel zeitnah zuzusichern und in die Zukunft des Messestandorts zu investieren. 

Schienenverkehr ausbauen

Nur 35 Kilometer Schiene sind nach Angaben der Landesregierung in den Jahren 2015 bis 2021 in Hessen reaktiviert oder neu gebaut worden – der Ausbau der Schieneninfrastruktur kommt in Hessen nur schleppend voran. Für die Freien Demokraten war das Anlass genug, dem Landtag einen Gesetzentwurf namens „Schnelle Schiene Hessen“ vorzulegen, der in dieser Woche in erster Lesung beraten wurde. „Das aktuelle Defizit an ausgebauter und neuer Schieneninfrastruktur hemmt die Entwicklung unseres Landes, denn es erschwert die Entstehung neuer Baugebiete in den Ballungsräumen, behindert das nötige Wachstum des ÖPNV und steht der weiteren Erschließung des Landes und damit Fortschritt, Wachstum und Wohlstand im Weg“, begründete Stefan Naas die Initiative seiner Fraktion. Die Freien Demokraten wollen den Ausbau der Schieneninfrastruktur in Hessen beschleunigen und schlagen mit ihrem Gesetz deshalb die Gründung einer landeseigenen Gesellschaft für Schieneninfrastruktur vor. „Schieneninfrastrukturprojekte bedürfen immer einer umfangreichen Planung. Doch selbst leistungsfähige Kommunen oder Kreise sind oftmals nicht in der Lage, die Expertise bereitzustellen, die für die Planung und Umsetzung eines Projekts notwendig ist“, erklärte Naas. „Verschiedene Aufgabenfelder hessischer Schieneninfrastrukturprojekte sollen in dieser Gesellschaft zusammengeführt werden und auf diese Weise Planung, Bau und Betrieb neuer Schieneninfrastruktur beschleunigt und verstetigt werden.“ Nach dem Vorbild der Regionaltangente West solle eine schnelle und effektivere Planung aller beteiligten Partner für weitere Schieneninfrastrukturprojekte in Hessen erreicht werden. „Dazu wird eine Struktur geschaffen, die eine schnelle und arbeitsfähige Gesellschaft für ein Projekt ermöglicht. Das heißt, dass die neu gebildete Gesellschaft mit lokalen und regionalen für den ÖPNV zuständigen Akteuren gemeinsame Planungsgesellschaften für Planung und Bau von wichtigen lokalen und regionalen Ergänzungsstrecken bilden kann“, erläuterte Naas. Das Land solle die Gesellschaft als Mehrheitsgesellschafter unterstützen und damit zukünftig eine noch größere Verantwortung für den Ausbau von Schieneninfrastruktur in Hessen tragen. Als weitere Anteilseigner nannte Naas die Verkehrsverbünde in Hessen, Hessen Mobil sowie die kreisfreien Städte und Landkreise. 

Nach Idee der Freien Demokraten könnten mit der neu gegründeten Gesellschaft viele Projekte in Hessen realisiert werden: unter anderem der Bau von Regionaltangenten im Osten und Süden Frankfurts, um einen Schnellbahnring um die Stadt zu legen. Auch die Kleinbahn Friedberg–Nidda als Vorstufe des S-Bahn-Projekts Frankfurt–Nidda sowie die Reaktivierung der Lumdatalbahn oder der Solmsbachtalbahn zwischen Brandoberndorf und Kraftsolms beziehungsweise Wetzlar seien mögliche Projekte, die durch das Gesetz beschleunigt werden könnten.