Zwei-Säulen-Strategie: Angriffe auf Polizisten und Rettungskräfte müssen schneller bestraft werden
Presseinformationen:
Präsentation Pressekonferenz vom 31.07.2020 [Download als PDF]
Konzept „Zwei-Säulen-Strategie“ (Langfassung) [Download als PDF]
Zwei-Säulen-Strategie
zur konsequenten und schnellen Verfolgung von Straftaten gegen Polizei und Rettungskräfte sowie Beschäftigte im Öffentlichen Dienst
Problem:
Die Übergriffe auf Polizei und Rettungskräfte (z.B. Dietzenbach und Opernplatz in Frankfurt), aber auch auf Beschäftigte im Öffentlichen Dienst, werden immer häufiger. Die Dimension des Problems wurde in der Studie des Deutschen Beamtenbundes (dbb) vom 12. Februar 2020[1] sowohl im Hinblick auf die Einsatzkräfte als auch auf die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst auch unter Nennung konkreter Beispiele verdeutlicht. Viel zu häufig bleiben demnach diese Straftaten für die Täter ohne Folgen, weil sie gar nicht erst angezeigt werden oder zum Beispiel Beweise nicht ausreichend erhoben wurden. Auch wenn die Verfahren erfolgreich abgeschlossen werden, dauern diese häufig auch aufgrund fehlender personeller Kapazitäten viel zu lang. Dies kann eine bei den Tätern ohnehin fehlende Akzeptanz staatlicher Institutionen verstärken und den Eindruck erwecken, dass man sich Angriffe auf Beschäftigte im Öffentlichen Dienst und gerade auch auf die Polizei folgenlos erlauben kann. Der Rechtsstaat wirkt in dieser Hinsicht nach außen nicht als wehrhaft.
„Angriffe gegen den Staat sind auch Angriffe auf unsere Gesellschaft.“
Stefan Müller, Innenpolitischer Sprecher
Ziel:
Es muss deutlich werden, dass Angriffe auf Einsatzkräfte, aber auch auf andere Beschäftigte, die im Dienste der Bürgerinnen und Bürger stehen, nicht akzeptiert werden. Durch die schnelle und konsequente Verfolgung von Straftaten gegen Einsatzkräfte und andere Beschäftigte im Öffentlichen Dienst soll sichergestellt werden, dass in diesen Fällen die Reaktion des Rechtsstaats unmittelbar auf die Tat folgt. Indem die Konsequenzen für die Täter spürbar werden, können sie auch eine präventive Wirkung entfalten – sowohl für die Täter als auch für Dritte, die durch die Handlungsfähigkeit des Rechtsstaates von der Begehung von Straftaten abgehalten werden.
Lösung:
Um das Ziel einer schnellen und konsequenten Strafverfolgung zu erreichen, wird eine Zwei-Säulen-Strategie verfolgt.
Konkrete Ausgestaltung:
Deliktfelder und Adressatenkreis:
Gewaltdelikte, Beleidigungen und sonstige Angriffe auf Einsatzkräfte (Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst, Mitarbeiter in Notaufnahmen), Beschäftigte im öffentlichen Dienst (inkl. Landkreise und Kommunen, z.B. Jobcenter, Lehrkräfte) sowie auf (ehrenamtliche) Kommunalpolitiker.
1. Säule:
Stärkung der Polizei
Zentren zur Verfolgung von Gewalt gegen Polizei, Rettungskräfte und Beschäftigte im Öffentlichen Dienst
In den sieben Flächen-Polizeipräsidien in Wiesbaden (PP Westhessen), Frankfurt (PP Frankfurt), Darmstadt (PP Südhessen), Offenbach (PP Südosthessen), Gießen (PP Mittelhessen), Fulda (PP Osthessen) und Kassel (PP Nordhessen) wird jeweils ein Zentrum zur Verfolgung von Gewalt gegen den Staat eingerichtet.
In jedem Zentrum bearbeiten vier zusätzliche Beamtinnen und Beamte der Polizei alle im Zuständigkeitsbereich des jeweiligen Flächen-Polizeipräsidiums begangenen oben genannten Delikte.
Konkrete Aufgaben der „Zentren zur Verfolgung von Gewalt gegen Polizei, Rettungskräfte und Beschäftigte im Öffentlichen Dienst“:
- Zentrale Meldestelle für Gewaltdelikte, Beleidigungen und sonstige Angriffe auf oben genannten Personenkreis
- Erfassung und Dokumentation jedes relevanten Sachverhaltes zur Aufhellung des Dunkelfelds
- Beratung im Hinblick auf Erstattung einer Anzeige und die weitere Vorgehensweise
- Unterstützung bei Opferberatung, ggf. Vermittlung psychosozialer Betreuung
- Beratung und Unterstützung bei Tatbestandsaufnahme zur Sicherung der Beweiskette
- Regelmäßige Prüfung eines begleitenden zivilrechtlichen Verfahrens (Adhäsionsverfahrens), ggf. Vermittlung von anwaltlicher Beratung für begleitenden Zivilprozess
- Austausch und Zusammenarbeit mit dem festen Ansprechpartner und dem zuständigen Dezernenten der Staatsanwaltschaft vom Beginn der Ermittlung über die Vorbereitung der Anklageschrift bis zum klaren Signal an den Täter, dass sich der Staat wehrhaft zeigt
- Information der Betroffenen über Fortgang und Abschluss des Verfahrens
2. Säule:
Stärkung der Staatsanwaltschaft
Fester Ansprechpartner bei der Staatsanwaltschaft
In jeder der neun hessischen Staatsanwaltschaften wird auf Abteilungsleiterebene (Oberstaatsanwältin/Oberstaatsanwalt) ein fester Ansprechpartner ernannt sowie jeweils eine zusätzliche neue Dezernentenstelle (Staatsanwältin/Staatsanwalt) eingerichtet.
Konkrete Aufgaben des festen Ansprechpartners und des Dezernenten:
- Wöchentliche Besprechung des festen Ansprechpartners mit den Mitgliedern des jeweiligen Zentrums
- Ständiger Austausch zwischen dem entsprechenden Dezernenten (Staatsanwalt) und den Mitgliedern der Zentren
- Prioritäre Bearbeitung der jeweiligen Straftaten
- Enger Austausch mit den jeweils zuständigen Strafrichtern der Amts- und Landgerichte
Perspektive:
Nach einem Jahr der Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaft und Zentrum zur Verfolgung von Gewalt gegen den Staat ist zu prüfen, ob eine Zusammenarbeit auch in räumlicher Nähe die Abstimmung zusätzlich erleichtern kann. In diesem Fall könnte vergleichbar dem Haus des Jugendrechts eine Unterbringung von Staatsanwaltschaft und Polizei in gemeinsamen Räumen in Betracht gezogen werden.
Regelmäßiger Austausch zwischen den sieben Zentren zur Verfolgung von Gewalt gegen Polizei, Rettungskräfte und Beschäftigte im Öffentlichen Dienst sowie den Ansprechpartnern bei den neun Staatsanwaltschaften.
Schnelle Implementierung am ersten Standort in Frankfurt am Main
Zur Gewinnung von Erfahrungen wird zum 01.01.2021 an einem ersten Standort ein Zentrum zur Verfolgung von Gewalt gegen Polizei, Rettungskräfte und Beschäftigte im Öffentlichen Dienst eingerichtet. Naheliegend ist es, am Standort des PP Frankfurt mit Sitz in Frankfurt Erfahrungen und Erkenntnisse über die Abläufe und Arbeitsweise der neuen Einrichtung zu gewinnen. Gleichzeitig benennt die Staatsanwaltschaft Frankfurt zum 01.01.2021 einen Abteilungsleiter (Oberstaatsanwalt) zum festen Ansprechpartner und erhält eine zusätzliche Dezernentenstelle (Staatsanwalt).
Nach sechs Monaten erfolgt eine Auswertung der Arbeit und die Vorbereitung der weiteren Implementierung der übrigen Zentren.
Gewalt gegen Polizei, Rettungskräfte und Beschäftigte im Öffentlichen Dienst – Zahlen und Fakten
2018 wurden nach Angaben des Innenministeriums in Hessen knapp 4000, im Jahr 2019 bereits ca. 4100 Polizeibeamtinnen und -beamte als Opfer von Angriffen registriert. Statistisch gesehen sind somit im Jahr 2019 pro Tag mehr als zehn Polizistinnen und Polizisten angegriffen worden. In den Jahren 2018 und 2019 wurden 115 beziehungsweise 112 Angehörige des Rettungsdienstes angegriffen.
Auch andere Beschäftigte im Öffentlichen Dienst werden immer wieder Opfer von Angriffen – demnach sehen sich vor allem Justizvollzugsbeamte und Gerichtsvollzieher Beleidigungen (98 Prozent bzw. 78 Prozent), Bedrohungen (90 Prozent bzw. 86 Prozent) und Angriffen (57 Prozent bzw. 60 Prozent) ausgesetzt[1]. Lehrerinnen und Lehrer werden laut einer Studie des dbb Hessen „in erheblichem Maße bedroht, beleidigt und beschimpft“ 13 Prozent der Befragten wurde schon einmal von Schülern bespuckt, 28 Prozent bereits körperlich angegriffen, 58 Prozent bedroht und 80 Prozent beleidigt.[2] In ähnlichem Maße erleben Mitarbeiter der Agentur für Arbeit und Beschäftigte in Jobcentern Beleidigungen, Bedrohungen und Gewalt durch Kunden.[3]
[1] Studie des dbb Hessen vom 12.02.2020, siehe: https://www.dbb-hessen.de/fileadmin/user_upload/www_dbb-hessen_de/images/2020/Pressekonferenz_Gewalt_gegen_Beschaeftigte_im_oeffentlichen_Dienst/Prof._Dr._Britta_Bannenberg_-_Gewalt_gegen_Beschaeftigte_im_OEffentlichen_Dienst_des_Landes_Hessen__Zusammenfassung_.pdf.
[2] Ebd.
[3] Ebd.