Verantwortung statt Verfassungsbruch

12.11.2021

Eigentlich waren für die November-Sitzungswoche des Hessischen Landtags umfassende Haushaltsberatungen geplant gewesen. Stattdessen forderte die Opposition die Entlassung des Finanzministers und die Rückkehr zu einer soliden Haushaltspolitik. Anlass war das Urteil des Hessischen Staatsgerichtshofs, wonach das hessische „Corona-Sondervermögen“ für verfassungswidrig erklärt worden war. Weil die Landesregierung dieses Szenario offenbar nicht in Betracht gezogen und dem Landtag keinen Alternativplan vorgelegt hatte, mussten kurzfristig die weiteren Lesungen des Haushaltsgesetzes verschoben werden – vor allem aber wurde mit dem Urteil den Mitgliedern des Landtags wieder ihr „Königsrecht“ zurückgegeben. Während die Abgeordneten nun erst in den nächsten Sitzungen einen verfassungsgemäßen Haushalt für das Jahr 2022 aufstellen werden, diskutierten sie auch in den vergangenen Tagen über die erforderlichen Maßnahmen und Mittel zur Bekämpfung und Bewältigung der Corona-Krise.  

Bouffier soll Boddenberg entlassen

Am 27. Oktober hatte der Staatsgerichtshof des Landes Hessen sein Urteil in der Klage von Freien Demokraten und SPD gegen das Sondervermögen der schwarz-grünen Landesregierung gesprochen und für unvereinbar mit der hessischen Landesverfassung erklärt. Der Richterspruch hatte nahezu alle Kritikpunkte bestätigt, die von den beiden Oppositionsparteien im Landtag vor der Einrichtung des Corona-Sondervermögens vorgebracht worden waren. „Für die schwarz-grüne Landesregierung ist das Urteil ein politisches Desaster, insbesondere für den Ministerpräsidenten. Denn er war es, der alle Angebote der Freien Demokraten und der SPD für eine gedeihliche Zusammenarbeit in der Corona-Krise ausgeschlagen hat“, bilanzierte der Fraktionsvorsitzende der Freien Demokraten, René Rock. Statt den breiten politischen Konsens im Landtag zu suchen und eine solide Basis für die Maßnahmen zur Bekämpfung der Folgen der Pandemie zu schaffen, habe der Ministerpräsident einem Schattenhaushalt zugestimmt und dabei auch seine Hand für einen Bruch der Verfassung gehoben. „Der Staatsgerichtshof hat heute die Schuldenbremse verteidigt und einen wichtigen Beitrag zur Generationengerechtigkeit geleistet“, stellte Rock noch im Gerichtssaal fest. Aus Sicht der Freien Demokraten habe das Urteil deutlich gemacht, dass die Modernisierung des Landes nicht unter dem Deckmantel einer Notsituation mit Schulden finanziert werden könne. „Hierfür ist eine Prioritätensetzung im Haushalt erforderlich. Dafür muss Schwarz-Grün seine Ausgabenpolitik endlich auf den Prüfstand stellen“, zeigte sich Rock in seiner politischen Linie bestätigt. 

In einer Sondersitzung des Landtags Anfang November wollten Freie Demokraten und SPD die Konsequenzen aus dem Urteil parlamentarisch erörtern. Beide Oppositionsfraktionen forderten die Landesregierung auf, das Scheitern ihres Sondervermögens einzugestehen und hierfür Verantwortung zu übernehmen. „In ihrem Amtseid haben Ministerpräsident Volker Bouffier und Finanzminister Michael Boddenberg geschworen, die Verfassung und das Gesetz zu schützen und zu verteidigen. Stattdessen haben sie die Verfassung gebrochen“, erklärte Rock zu Beginn seiner Rede. „Entweder muss also der Finanzminister von sich aus die Verantwortung übernehmen, oder der Ministerpräsident muss dafür Sorge tragen.“ Doch weder in der Sonder- noch in der regulären Landtagssitzung wollten CDU und Grüne Verantwortung für ihr Handeln übernehmen.

In beiden Sitzungen erneuerten Rock und Faeser ihr Angebot für eine konstruktive Zusammenarbeit bei der Finanzierung von Maßnahmen zur Bekämpfung und Bewältigung der Pandemie: „Wir reichen der Landesregierung die Hand, um einen verfassungsgemäßen Haushalt für das Jahr 2022 aufzustellen, der die erforderlichen Mittel zur Bewältigung der Krise bereitstellt.“ Der Staatsgerichtshof hatte eine Neuregelung der Corona-Hilfen bis Ende März 2022 gefordert. „Es braucht weiterhin Hilfen für Menschen, Wirtschaft und Kommunen und insbesondere im Bereich der Bildung. Diese müssen nun schnell verfassungskonform vorgelegt werden“, sagte Rock. Die Freien Demokraten hatten immer wieder deutlich gemacht, dass die mit Schulden finanzierten Maßnahmen im Zusammenhang mit der Krise stehen und den von ihnen ins Leben gerufenen Corona-Check bestehen müssten. „Diesen Zusammenhang hat auch der Staatsgerichtshof gefordert“, erklärte Rock im Landtag.

Inflationsrisiken durch solide Haushaltspolitik senken

Aber nicht nur das schwarz-grüne Sondervermögen führte in dieser Woche zu Streit über die finanzpolitische Ausrichtung des Landes. Insbesondere die Entwicklung der Verbraucherpreise lässt in der Bevölkerung die Sorge vor einer Inflation wachsen. „Die Bürgerinnen und Bürger, die nicht über hohe Sachwerte verfügen, leiden besonders unter den steigenden Preisen“, stellte Marion Schardt-Sauer in der von ihrer Fraktion beantragten Debatte zum Thema fest. „Während die junge Auszubildende jetzt im Winter nicht mehr weiß, wie sie ihre Gasrechnung zahlen soll, hat sich die Landesregierung einen 12-Milliarden-Euro-Schuldentopf am Parlament vorbei angelegt.“ Die haushaltspolitische Sprecherin der Freien Demokraten forderte Hessens Finanzminister auf, die Inflationsrisiken durch eine solide Haushaltspolitik zu senken. Das Urteil des Staatsgerichtshofs sei auch deshalb so wertvoll, weil es die Bedeutung der Schuldenbremse deutlich gemacht habe. „Der Finanzminister muss aufhören, die Inflation weiter anzuheizen, indem er Hessen auf Kosten zukünftiger Generationen verschulden will“, sagte Schardt-Sauer. Die Haushaltspolitikerin verwies darauf, dass die Schuldenbremse Spielraum für sinnvolle Investitionen lasse. „Wir brauchen einen Vorrang für Investitionen vor Konsumausgaben“, forderte sie und erklärte darüber hinaus: „Statt Umverteilung brauchen wir schnellere Abschreibungen für Klimaschutz und Digitalisierung, Erleichterungen für den Mittelstand sowie Entlastung für kleine und mittlere Einkommen. Das nämlich kurbelt die Produktion und damit das Angebot an – und das senkt die Inflation.“

Hessen braucht eine neue Gründergeneration

Um einen wirtschaftlichen Aufschwung nach der Corona-Krise zu ermöglichen, wollen die Freien Demokraten Gründungen in Hessen erleichtern. Durch Kurzarbeitergeld, Soforthilfen sowie November- und Dezemberhilfe sei es gelungen, den Unternehmen durch die Krise zu helfen. Jetzt gehe es aber nicht mehr allein um Krisen-Bewältigung, sondern auch um die Frage, wie Raum für wirtschaftlichen Aufschwung geschaffen werden könne. „Wir brauchen auch Neugründungen in Hessen – jetzt ist Zeit für einen neuen Aufschwung und eine Gründeroffensive“, begründete Stefan Naas den von seiner Fraktion vorgelegten Antrag.  

In seiner Rede machte der wirtschaftspolitische Sprecher der Freien Demokraten auf den Nachholbedarf aufmerksam, den Hessen im Vergleich zu anderen Bundesländern habe. In den Rankings stehe Hessen unterschiedlich da: So liegt das Bundesland beim KfW-Gründungsmonitor nur auf Platz acht. In seinem Gründerreport benennt der Hessische Industrie- und Handelskammertag rückläufige Gewerbeanmeldungen seit 2015. Und der deutsche Start-up-Monitor 2021 zeigt auf, dass nur 6,5 Prozent der in Deutschland angemeldeten Start-ups ihren Sitz in Hessen haben. „Wir brauchen Menschen, die gründen wollen. Wir brauchen eine neue Gründergeneration“, machte Naas im Plenarsaal deutlich. In ihrem Antrag fordern die Freien Demokraten deshalb unter anderem eine Stärkung ökonomischer Themen in Schulen. „Es ist dringend notwendig, den Themen Wirtschaft, Unternehmertum und Gründung im Schulunterricht mehr Bedeutung zu schenken. Wer nämlich die Schule verlässt und denkt, Unternehmertum sei grundsätzlich böse, der wird niemals Unternehmer werden“, erklärte der wirtschaftspolitische Sprecher. Auch wollen die Liberalen den Gründungsprozess entbürokratisieren. „In Estland dauert die Unternehmensgründung 18 Minuten, man braucht keinen Notar und muss nicht mal physisch anwesend sein.“ Auch in Hessen müsse die Unternehmensgründung unkomplizierter, schneller und einfacher werden, forderte Naas. Darüber hinaus könnten Mikrodarlehen auch Gründerinnen und Gründern helfen. „Es macht keinen Unterschied, ob wir einem Unternehmen eine Liquiditätsspritze geben, das aufgrund der Corona-Krise in Schwierigkeiten geraten ist, oder ob man ein Mikrodarlehen an einen Existenzgründer gibt.“ Um den Grundstein für eine neue Gründergeneration zu legen, sollte das Mikroliquiditätsprogramm deshalb auf Gründerinnen und Gründer ausgeweitet und unter bestimmten Bedingungen auf Rückzahlung des Darlehens verzichten werden. 

Freiheit und Sicherheit in der Pandemie gewährleisten 

Die Bewältigung der Corona-Krise ist nicht nur in finanzieller Hinsicht zu einer politischen Mammutaufgabe geworden – wieder steigende Infektionszahlen lassen auch hierzulande Maßnahmen zur Eindämmung des Virus notwendig werden. So hat das hessische Corona-Kabinett mit Wirkung zum Donnerstag dieser Woche wieder Verschärfungen angeordnet. Diese wurden dem Landtag am Mittwochabend zur Kenntnis mitgeteilt. In der sich anschließenden Debatte forderte Moritz Promny eine ausgewogene und angemessene Balance zwischen Freiheit und Sicherheit. „Das ist der Landesregierung in der gesamten Pandemie nicht gelungen, obwohl die richtigen politischen Mittel auf der Hand liegen“, kritisierte er. Promny, der Mitglied und Vorsitzender des Sozialausschusses im Hessischen Landtag ist, nannte eine Reihe von Beispielen, darunter die tägliche Testpflicht in Alten- und Pflegeheimen, die die Landesregierung später als andere Länder eingeführt habe. Darüber hinaus hätten sich die Freien Demokraten gewünscht, dass die Impfungen noch stärker vorangetrieben worden wären. „Es ist nicht nachzuvollziehen, dass nicht schon früher Anstrengungen unternommen wurden, um gezielt die Risikogruppen mit der notwendigen dritten Impfung, der sogenannten Booster-Impfung, zu versorgen.“ Im Laufe der Debatte beanstandete Promny auch noch einmal nicht vorhandene flächendeckende, niedrigschwellige Impfangebote. Auch die Abschaffung der kostenlosen Bürgertests kritisierte er. „Wir haben die Abschaffung für einen großen Fehler gehalten, denn es war klar, dass sich weniger Menschen testen lassen, wenn die Tests nicht mehr kostenlos sind.“ Promny verwies auf das Interesse der Allgemeinheit, dass mögliche Infektionen erkannt würden und die Weiterverbreitung des Virus unterbunden werden könne. „Leider ist es genauso gekommen, wie wir befürchtet hatten: Weniger Infektionen sind frühzeitig aufgefallen.“

Schließlich ging Promny auf die Entscheidung der Ampelfraktionen ein, die epidemische Lage von nationaler Tragweite zu Ende November beenden zu wollen, von der nun auch Hessen profitieren könne. Mit Blick auf das Artikelgesetz von FDP, SPD und Grünen sagte er: „Nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik gab es so tiefgreifende Grundrechtseingriffe wie in der Corona-Pandemie.“ Er begrüßte, dass die Fraktionen Maßnahmen aus dem Infektionsschutzgesetz abschaffen und den Ländern nur noch befristet einfache Maßnahmen ermöglichen wollen. „Die Pandemie ist noch nicht vorbei, sie muss allerdings anders bekämpft werden. Mit dem geschnürten Gesamtpaket werden nicht nur Befugnisse wieder an das Parlament zurückgegeben, sondern auch die Bürgerrechte und die Freiheit gestärkt.“