Am Ende schwarz-grüner Möglichkeiten

13.05.2022

Es war die letzte reguläre Sitzungswoche der schwarz-grünen Landesregierung unter Führung des Ministerpräsidenten Volker Bouffier. In der nächsten Sitzung des Landtags am 31. Mai wird er sein Amt an den bisherigen Landtagspräsidenten Boris Rhein übergeben. Nicht nur personell, auch politisch scheint die schwarz-grüne Landesregierung im Moment am Ende ihrer Möglichkeiten. So wird die Lebensmittelsicherheit von der Verbraucherschutzministerin nicht mit der notwendigen Ernsthaftigkeit verfolgt, wie der Fall um Gernsheimer Gammelgurken erneut zeigt. Zudem wird die Einführung der elektronischen Akte in der Justiz von der zuständigen Ministerin weiter verschleppt. Auch bei der Digitalisierung an sich könnte Hessen deutlich größere Schritte machen, wie die Opposition in der vergangenen Woche im Landtag erneut deutlich machte. 

Mehr Lebensmittelsicherheit gewährleisten

Vor wenigen Wochen erschütterte der zweite Listeriose-Skandal binnen weniger Jahre das Land Hessen. Mehrere Menschen sollen durch keimbelastete Gurken mit Listerien infiziert, einer von ihnen an den Folgen sogar verstorben sein. Eine anschließende Kontrolle im entsprechenden Betrieb in Gernsheim offenbarte eklatante Hygienemängel. Es war von Rattenkot und massenhaft Schimmel die Rede. Wie der zuständige Landkreis nachher zugeben musste, war der Betrieb zwei Jahre lang nicht kontrolliert worden. Die Parallelen zum Wilke-Wurst-Skandal aus dem Jahr 2019 sind offensichtlich.

„Entscheidend ist, dass Sie seither keine Verbesserungen erreicht haben“, warf Wiebke Knell Verbraucherschutzministerin Priska Hinz am Donnerstag im Landtag vor. Die Freien Demokraten hatten das Thema auf die Tagesordnung der vergangenen Plenarwoche gesetzt, weil Hessens Verbraucherschutzministerin als Fachaufsicht über die Lebensmittelsicherheit in Hessen die notwendige Ernsthaftigkeit in diesem Fall habe vermissen lassen. So hatte die Fraktion bereits im zuständigen Fachausschuss auf Aufklärung gedrängt. Hier hatte Priska Hinz jedoch jegliche Verantwortung von sich gewiesen und verneint, dass es sich im jüngsten Fall um einen neuerlichen Lebensmittelskandal handele. „Das muss man wirklich mal sacken lassen: Die oberste Verbraucherschützerin des Landes hält es nicht für einen Skandal, wenn Menschen in Hessen an verunreinigten Lebensmitteln erkranken und sterben“, kritisierte die verbraucherschutzpolitische Sprecherin der Freien Demokraten im Rahmen der Debatte. „Man kann die Größe eines Skandals nicht daran bemessen, wie viele Tote es gab.“ Knell bestritt nicht, dass Hinz nach Bekanntwerden der Missstände schnell gehandelt habe. Allerdings hätten nach Ansicht der Freien Demokraten neuerliche Lebensmittelverunreinigungen wie diese vermieden werden können und müssen. So seien im Jahr 2020 landesweit nur 53 Prozent der Pflichtkontrollen durchgeführt wurden, jede zweite sei also ausgefallen. „Das ist ein eklatanter Missstand! Den gab es schon vor Corona, aber Corona hat die Situation vielerorts verschärft.“

Knell erneuerte ihre Forderung, mehr Zuständigkeiten für die Lebensmittelüberwachung auf die Landesebene zu holen. So solle die Verantwortlichkeit für Hygienekontrollen und Probeentnahmen für Hochrisiko- und Großhandelsbetriebe sowie Warenzentrallager an die Regierungspräsidien übergeben werden. „Es mangelt ja nicht nur an Pflichtkontrollen, sondern offenbar auch an Wissen darüber, wie mit Hochrisikobetrieben umzugehen ist.“ Innerhalb eines Regierungspräsidiums solle deshalb auch ein Expertenteam aus Lebensmittelchemikern, Fachjuristen und Veterinären angesiedelt werden. Darüber hinaus forderte Knell eine schnelle und konsequente Strafverfolgung in diesem Bereich, weshalb sie eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft für den Bereich des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches vorschlug. „Es ist Ihre Pflicht, die Missstände in der hessischen Lebensmittelüberwachung schnellstmöglich abzustellen.“

Einführung der E-Akte beschleunigen

Eigentlich sollte die sogenannte E-Akte, mit der Gerichtsverfahren vollständig digital bearbeitet werden sollen, in Hessen bereits 2019 eingeführt werden. Jetzt wird sie wohl frühestens Ende 2025 flächendeckend kommen – dann läuft auch die vom Bund vorgegebene Frist ab. Die Umsetzung in Hessen läuft mehr als schleppend: Bisher wird die elektronische Akte nur am Landgericht Limburg und dem Sozialgericht in Kassel sowie seit neuestem auch bei der Staatsanwaltschaft Darmstadt erprobt. Doch nicht nur das: Wie der Landesrechnungshof kürzlich vorrechnete, sind die Kosten von ursprünglich 37 Millionen Euro auf mittlerweile auf 235 Millionen Euro angestiegen. „Das eine ist die mangelhafte Kostenkalkulation. Das andere ist, dass die Ministerin nicht mal eine Projektplanung mit Fakten zu Kosten, Zeit und inhaltlichen Meilensteinen vorgelegt hat“, kritisierte Marion Schardt-Sauer im Rahmen der von den Freien Demokaten beantragten Landtagsdebatte zum Thema. Die rechtspolitische Sprecherin forderte die Landesregierung auf, die Einführung der E-Akte endlich professionell anzugehen und das Projekt auf höchster Ebene zu steuern. „Es braucht jetzt eine Stabsstelle im Justizministerium – und einen ehrlichen, aufgeschlossenen Dialog mit der juristischen Praxis.“

Die Einführung der E-Akte ist aus Sicht der Freien Demokraten enorm wichtig, weil sie für kürzere Verfahrenslaufzeiten, eine leistungsfähige und moderne Justiz sowie die Attraktivität des öffentlichen Dienstes stehe. „Leider wirkt die flächendeckende Einführung nach vielen Jahren der Verantwortung von Ministerin Eva Kühne-Hörmann wie eine Fata Morgana“, beklagte Schardt-Sauer und erinnerte daran, dass Kühne-Hörmann als Justizministerin 2014 ein gut bestelltes Feld übernommen hatte. Damals sei Hessens Justiz im Spitzenfeld der Bundesländer und Leuchtturm in Themenfeldern wie Digitalisierung und Modernität gewesen. „Acht Jahre später ist Hessen als Justizstandort im Ländervergleich ganz unten angelangt und die hessische Justiz als Arbeitgeberin kaum noch attraktiv.“ Die E-Akte sei der Tiefpunkt des Versagens, doch auch die Personalnot, der Justizskandal um den unter Korruptionsverdacht stehenden Oberstaatsanwalt Alexander B. und die mangelnde Digitalisierung zeigten die Schwäche der Ministerin. Die nur unzureichend vorangetriebene Digitalisierung führe dazu, dass Schriftsätze von Anwälten zwar digital bei den Gerichten eingereicht, dann aber dort ausgedruckt werden. Allein das Amtsgericht Frankfurt verbrauche jeden Monat acht Paletten Papier. Die Schlange der Archivakten, die digitalisiert werden müssten, sei mittlerweile 21 Kilometer lang. „So mutet kein moderner und leistungsfähiger Rechtsstaat an, so gewinnt man keine Nachwuchskräfte für die Justiz“, stellte Schardt-Sauer abschließend fest. „Hessens Justiz verdient mehr als das, was die zuständige Ministerin leistet.“

Digitalen Bildungsurlaub ermöglichen

Anders als in Hessen ist in vielen Bundesländern wie zum Beispiel in Berlin, Bremen, Schleswig-Holstein oder Sachsen-Anhalt Bildungsurlaub auch digital möglich. Während dort an Fort- und Weiterbildungen auch online teilgenommen werden kann, werden in Hessen nur Präsenzveranstaltungen als Bildungsurlaub anerkannt. „Das ist nicht mehr zeitgemäß“, begründete Oliver Stirböck die Gesetzesinitiative seiner Fraktion, die in dieser Woche in erster Lesung vom Hessischen Landtag beraten wurde. Die Freien Demokraten möchten das seit knapp 25 Jahren geltende und seither nur unwesentlich geänderte Hessische Gesetz über den Anspruch auf Bildungsurlaub modernisieren. Nicht zuletzt die Corona-Krise habe gezeigt, dass digitale Möglichkeiten insbesondere im Bereich von Bildung und Weiterbildung besondere Chancen bieten würden, heißt es in der Begründung des Gesetzes. „Es ist zweitrangig, ob Menschen durch die Republik reisen, um sich in einem Seminarraum weiterzubilden, oder ob sie von zu Hause aus an einer digitalen Fortbildung teilnehmen: Wichtig ist die Bildung an sich“, erklärte der digitalpolitische Sprecher der Freien Demokraten. Nach deren Vorstellung sollen deshalb künftig auch Online- oder Hybridveranstaltungen als Bildungsurlaub anerkannt werden können.