Wissenschaft zwischen Cancel Culture und Wahrheitssuche
Studierende, die einem ob seiner Positionen in Ungnade gefallenen Wissenschaftler den Zugang zu einem Gebäude versperren. Schlechtere Noten, weil nicht gegendert wurde. Themen, zu denen „man“ von vornherein nicht forschen sollte und für deren Erforschung es dann auch kein Geld gibt. Drei Beispiele für Erzählungen, die regelmäßig wiederkehren und Aufsehen erregen – und oft auch Aufregung provozieren. Während sich die einen im Dienst der guten Sache wähnen, kommt von der anderen Seite der Ruf: „Cancel Culture!“ Klar ist: Hier geht es um die Wissenschaftsfreiheit.
„Die Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit wächst.“
Stefan Naas
„Die Bedeutung der Wissenschaftsfreiheit wächst“, betonte Stefan Naas. „In manchen Bereichen ist sie bedroht wie lange nicht“, ergänzte Wiebke Knell. Die beiden Fraktionsvorsitzenden der Freien Demokraten im Hessischen Landtag eröffneten mit diesen Worten die Veranstaltung „Wissenschaftsfreiheit und ihre Grenzen“, zu der die Fraktion in den Landtag eingeladen hatte. Auf dem prominent besetzten Podium diskutierten Jan-Lukas Gescher, Bundesvorsitzender der Liberalen Hochschulgruppen, Prof. Dr. Jürgen W. Falter vom Institut für Politikwissenschaft der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Prof. Dr. Susanne Schröter, ehemalige Professorin am Institut für Ethnologie der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main sowie Prof. Dr. Heribert Warzecha, Vizepräsident für Studium und Lehre sowie Diversität an der TU Darmstadt, darüber, warum die im Grundgesetz verankerte Wissenschaftsfreiheit so wichtig ist und was sie bedroht.
„In manchen Bereichen ist die Wissenschaftsfreiheit bedroht wie lange nicht.“
Wiebke Knell
Matthias Büger, wissenschaftspolitischer Sprecher der Freien Demokraten im Hessischen Landtag, erinnerte sich an seine Promotion und die Worte seines Dekans, der ihn in die Pflicht nahm, immer die Wahrheit zu suchen. „Dabei gab es seinerzeit keine Einschränkung. Wir brauchen die Freiheit zu suchen, ohne an ein Sofern zu denken“, erzählte Büger. Heute sollten vulnerable Gruppen durch Forschung nicht beleidigt werden, bestimmte Themen dürften nicht mehr erforscht werden, sagte Susanne Schröter. Sie berichtete darüber hinaus von Wissenschaftlern, die von Vorträgen wieder ausgeladen würden und die keine Forschungsgelder bekämen.
Dass Wissenschaft heiße, von der eigenen Person abstrahierend zu forschen und die Suche nach der Wahrheit das Kriterium der wissenschaftlichen Arbeit sein solle, machte auch Jürgen Falter deutlich. Der bekannte Politikwissenschaftler warb im gleichen Atemzug unter Applaus des Publikums dafür, Leitbilder von Hochschulen zu streichen. Leitbilder bedeuteten, dass sich die Hochschulleitung auf eine Seite stelle, meint Jan-Lukas Gescher. Heribert Warzecha entgegnete in der von FAZ-Redakteur Thomas Thiel moderierten Diskussion, er könne verstehen, dass Leitbilder an der ein oder anderen Stelle nicht ideal seien. Für Hochschulen gehe es aber darum, sich im Diskurs zu verständigen, wohin man sich entwickeln wolle.
„Aber nur was auskömmlich finanziert wird, kann auch erforscht werden. Die Grundfinanzierung der Forschung muss stark genug sein, damit die Wahrheit gesucht werden kann.“
Matthias Büger
Auch die knapper werdenden Finanzen sind es, die Druck auf die Wissenschaftsfreiheit ausüben. „Dieser Druck wird sich noch verstärken“, prognostizierte Matthias Büger. „Aber nur was auskömmlich finanziert wird, kann auch erforscht werden. Die Grundfinanzierung der Forschung muss stark genug sein, damit die Wahrheit gesucht werden kann.“