„Die Fehler der Corona-Zeit dürfen nicht wiederholt werden“
Der Hessische Landtag hat einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, um mögliche Versäumnisse der Politik während der Corona-Pandemie aufzuarbeiten. Zum Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses wurde Yanki Pürsün gewählt. Der gesundheitspolitische Sprecher der Freien Demokraten im Hessischen Landtag hatte sich schon während der Corona-Krise einen Namen als konstruktiv-kritischer Aufklärer gemacht. Im Gespräch mit frei.hessen beschreibt er seine Sicht auf die Corona-Politik, seine Aufgaben als Vorsitzender und verrät, welchen Erkenntnisgewinn er sich erhofft.
Herr Pürsün, was fällt Ihnen als Erstes ein, wenn Sie an die Corona-Zeit zurückdenken?
Die Zeit war eine Herausforderung für alle, weil vieles nicht klar war und unbekannt erschien. Wir als Fraktion sind schnell in den Modus gekommen, dass wir mit den vorhandenen Informationen bestmöglich alle Interessen abwägen und entsprechend handeln müssen. Das war eine besondere Verantwortung für die Gesellschaft und die Politik. Im Nachhinein hätte ich mir gewünscht, dass alle so hinterfragend an die Sache herangegangen wären und transparent gemacht hätten, auf welcher Grundlage Entscheidungen getroffen wurden.
Hatten Sie auch manchmal einen inneren Kampf mit sich selbst zwischen dem handelnden Politiker und dem Menschen, der erlebt, was das Virus anrichtet?
Jeden Tag. Zum einen war ich natürlich besorgt, was das Virus anrichten kann – sowohl für das Individuum als auch für die gesamte Gesellschaft, für das Miteinander und den Wohlstand der Länder. Andererseits war ich erschrocken, wie schnell Freiheitsrechte im Namen der Gesundheit eingeschränkt und wie lange diese Einschränkungen aufrechterhalten wurden. Damit habe ich jeden Tag gerungen. Die Maßnahmen, die mir sinnvoll erschienen, habe ich unterstützt. Die, die einen Ermessensspielraum hatten, habe ich häufig anders bewertet.
Der Untersuchungsausschuss ist auf Antrag der AfD im Landtag eingerichtet worden. Sie hat es aber lange nicht geschafft, einen verfassungskonformen Einsetzungsantrag vorzulegen. Wie sehr belastet der unrühmliche Start die Arbeit des Ausschusses?
Er belastet am Ende gar nicht, aber er wirft einen Schatten auf die AfD, die den Ausschuss schon sehr lange angekündigt hatte. Ich erwarte von einer politischen Kraft, dass sie Dinge, die sie als wichtig bezeichnet, besser vorbereitet – an einer guten Vorbereitung sind jedoch Zweifel angebracht. Damit muss die AfD umgehen, denn sie hat diesen Ausschuss beantragt. Ungeachtet dessen, dass sich die AfD verstolpert hat, werden die anderen Fraktionen und natürlich auch wir als FDP-Fraktion konstruktiv in diesem Ausschuss arbeiten.
Knüpft das Verhalten der AfD an die Corona-Zeit an, als sie in die Corona-Leugner-Ecke gerückt ist, während die Freien Demokraten konstruktiv Schwächen der Corona-Politik aufgezeigt haben?
Ja, das knüpft daran an, wobei die AfD damals als erste Fraktion harte Einschnitte gefordert hat. Nun ist eine unserer Aufgaben, zu schauen, wer sich damals in Widersprüche verstrickt und zunächst alles und dann gar nichts verbieten wollte. Mit den Fakten von heute werden wir der AfD nicht durchgehen lassen, so zu tun, als ob sie von Anfang an alles gewusst habe.
Was genau ist Ihre Aufgabe als Vorsitzender des Untersuchungsausschusses?
Ich habe einerseits die Aufgabe, dass der Ausschuss den Untersuchungsauftrag erfüllen kann, den der Landtag erteilt hat. Das bedingt ein zivilisiertes Miteinander. Es muss gesittet zugehen. Andererseits habe ich als Obmann die Aufgabe, die FDP-Position einzubringen. Uns war immer wichtig, alle Güter abzuwägen. Dass die Freiheit in der Corona-Pandemie phasenweise zu kurz gekommen ist, haben wir auch während der Pandemie schon betont und werden das weiterhin tun.
Was hat Sie damals angetrieben, Maßnahmen so konsequent zu hinterfragen?
Ich habe die Maßnahmen auch persönlich als tiefen Einschnitt empfunden. Mir ging es immer um eine Abwägung: Politik kann niemals nur ein einziges Gut betrachten und ihr Handeln daran ausrichten, weil dann automatisch andere Interessen- und Personengruppen vernachlässigt werden. Dazu hat Politik kein Recht.
Was ist für Sie die wichtigste Fragestellung für den Untersuchungsausschuss bzw. welchen Erkenntnisgewinn erhoffen Sie sich?
Interessant wird sein, ob die Landesregierung immer nach bestem Wissen und Gewissen oder aber interessegeleitet und tendenziös gehandelt hat. Wie wurde mit Ermessensspielräumen umgegangen? Diese Hintergründe aufzuklären, wird ein erheblicher Erkenntnisgewinn sein. Aber wir wollen auch in die Zukunft schauen und dafür sorgen, dass Fehler nicht wiederholt werden.
Können Sie heute schon Fehler klar benennen?
Dass Maßnahmen ergriffen und lange aufrechterhalten wurden, die Aktivitäten im Freien eingeschränkt haben, war mit gesundem Menschenverstand nicht vereinbar. Dass man unter freiem Himmel nicht alleine auf der Parkbank sitzen durfte, ist von Tag eins an absurd gewesen. Und dass Menschen bestraft wurden, wenn sie auf der Straße keine Maske getragen haben, obwohl im Umkreis von zehn Metern niemand war – das hätte es nie geben dürfen. Den Menschen etwas nicht Notwendiges aufzuzwängen, damit sie es dann machen, wenn es notwendig ist, ist dem Verhältnis Staat–Bürger nicht angemessen.
Können Sie sich vorstellen, dass durch den Untersuchungsausschuss Skandale ans Licht kommen?
Skandalpotenzial gibt es bei der Frage, ob die Impfpriorität umgangen wurde, sprich: ob Menschen geimpft wurden, die noch gar nicht dran waren.
Wie muss Deutschland mit der nächsten Pandemie umgehen?
Das Mindeste ist, dass die Pandemiepläne aktualisiert werden und dass man sich frühzeitig Gedanken macht und durchspielt, was wäre, wenn wir ähnliche Herausforderungen hätten.
Würde es nochmal solche massiven Freiheitseinschränkungen geben?
Einerseits glaube ich, dass es in bestimmten Parteien und Verwaltungen Bestrebungen gäbe, es noch mal so zu machen. Andererseits denke ich, dass die Gesellschaft das nicht mehr in gleichem Maße zulassen würde, dass Medien anders reagieren und die Justiz schneller entscheiden würde.
Ihre Prognose, bitte: Wird der Untersuchungsausschuss seine Arbeit abgeschlossen haben, bis die nächste Pandemie kommt?
Ja, auf jeden Fall.
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