Ein Drama in drei Akten
In der vergangenen Woche kamen die Mitglieder des Hessischen Landtags am Dienstag, Donnerstag und Samstag zu drei außerordentlichen Sitzungen zusammen. Diese waren notwendig geworden, weil die schwarz-grüne Landesregierung ein kreditfinanziertes Sondervermögen in Milliardenhöhe auf den Weg bringen wollte und der Landtag den aufgrund der Corona-Krise erforderlich gewordenen zweiten Nachtragshaushalt zu verabschieden hatte. Größter Streitpunkt zwischen Regierung und Opposition war neben der Höhe und Ausgestaltung der Milliardenkredite vor allem die parlamentarische Kontrolle über die notwendigen Ausgaben. Nachdem die schwarz-grüne Landesregierung in einem ersten Schritt für ihre Zwecke sogar das Gesetz zur Schuldenbremse und die darin vorgeschriebene Zustimmung änderte, konnte am Samstag schließlich auch das das von ihr beabsichtigte 12 Milliarden Euro schwere Sondervermögen den Landtag passieren. Ein Drama in drei Akten.
Akt 1: Wählerwillen missachtet
Am Dienstag stand zunächst der von Schwarz-Grün eingebrachte Gesetzentwurf zur Änderung des Ausführungsgesetzes zur Schuldenbremse, das sogenannte Artikel-141-Gesetz, auf der Tagesordnung. Das Artikel-141-Gesetz war nach der Volksabstimmung von 2011, bei der 70 Prozent der hessischen Bürgerinnen und Bürger dafür gestimmt hatten, die Schuldenbremse in der Hessischen Verfassung zu verankern, von der damaligen CDU/FDP-Koalition verabschiedet worden. Es definiert die in der Verfassung festgeschriebene Notsituation, in der Schulden aufgenommen werden, dürfen näher und legte bislang eine Zweidrittelmehrheit zur Feststellung der Notsituation fest.
Um ihr umstrittenes 12-Milliarden-Euro-Sondervermögen allein aus Krediten finanzieren zu können, brauchte Schwarz-Grün also eine Zweidrittelmehrheit im Landtag. Weil insbesondere Freie Demokraten und Sozialdemokraten auch nach mehreren Gesprächen mit dem Finanzminister und Vertretern der Regierungsfraktionen jedoch nicht zu der Überzeugung gekommen waren, dass das Sondervermögen allein für Corona-bedingte Maßnahmen, sondern vielmehr für schwarz-grüne Wahlgeschenke angehäuft werden sollte, hielten die Oppositionsfraktionen am geltenden Haushaltsrecht und dem üblichen parlamentarischen Verfahren fest. Der Landesregierung fehlte also die für ihr Vorhaben erforderliche Mehrheit. So kamen CDU und Grüne schließlich auf den Gedanken, das Artikel-141-Gesetz zu ändern und die erforderliche Zweidrittelmehrheit zur Aufnahme ihrer Milliardenkredite in eine einfache Mehrheit umzuwandeln.
„Was für ein Absturz! Was für eine Arroganz gegenüber dem Parlament“, ärgerte sich Marion Schardt-Sauer in der Debatte am Dienstag. Die haushaltspolitische Sprecherin der Freien Demokraten warf der Regierung vor, es gehe ihr nicht allein um Maßnahmen zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Krise. „Zufälligerweise geht die Dauer des unbeschränkten Zugriffs genau bis zur Landtagswahl im Jahr 2023. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt“, konstatierte sie. Die Juristin verwies schließlich auch darauf, dass die Feststellung der Notsituation und die hierfür notwendigen Kredite in einem engen Zusammenhang stehen müssten.
Akt 2: Schuldenbremse faktisch abgeschafft
Zu Beginn der Woche hatten Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn, Vizepräsident des Hessischen Landtags und Ministerpräsident a.D., der frühere Wirtschaftsminister und Fraktionsvorsitzende der FDP-Landtagsfraktion Florian Rentsch sowie sein Amtskollege und Vizepräsident des Hessischen Landtags a.D., Wolfgang Greilich, in einem Brief an den Hessischen Ministerpräsidenten ihre Bestürzung über das Vorhaben von CDU und Grünen niedergeschrieben. Die FDP-Politiker erinnerten den damaligen und heutigen hessischen CDU-Vorsitzenden Volker Bouffier daran, wie beide Parteien damals gemeinsam erfolgreich die Schuldenbremse erkämpft hatten.
Doch auch dieser Appell konnte am neusten Vorhaben der CDU nichts ändern: in der Sitzung am Donnerstag wurde die Änderung des Artikel-141-Gesetzes mit den Stimmen von CDU und Grünen, gegen die Stimmen von SPD, FDP und AfD und bei Enthaltung der Linken beschlossen – die Schuldenbremse damit faktisch abgeschafft. „Heute ist ein trauriger Tag, für die Bürgerinnen und Bürger und für die Demokratie in unserem Land“, zeigte sich René Rock enttäuscht im Anschluss an die Sitzung. Der Fraktionsvorsitzende der Freien Demokraten ist sich sicher, dass dieser Vorgang die politische Kultur in Hessen nachhaltig schädigen wird.
„Die Idee hinter der Zwei-Drittel-Hürde war, dass neue Schulden in einer besonderen Notlage nur mit einer besonders breiten Zustimmung des Parlaments möglich sein sollten. Wenn die CDU im Handstreich diese beseitigt, weil sie ihrem Schattenhaushalt im Wege steht, dann ist das eine politische Bankrotterklärung, ja, ein Wortbruch, ein Armutszeugnis.“
René Rock
Die Freien Demokraten waren immer wieder – zuletzt in der Sitzung am Donnerstag – auf die Regierungsfraktionen zugegangen. „Es geht Ihnen um Macht, um die Umsetzung einer grünen Wunschliste, nicht um Wohlstand, Marktwirtschaft und Selbstbestimmung. Mit der heute beschlossenen faktischen Abschaffung der Schuldenbremse in Hessen versündigen sich CDU und Grüne an den zukünftigen Generationen“, sagte Rock nachher verärgert. Gerade das, was die schwarz-grüne Landesregierung mit dem Sondervermögen gemacht hat – nämlich eine Schuldenaufnahme weit über das hinaus, was die Notsituation betrifft – wollten er und seine damaligen Fraktionskollegen seinerzeit gemeinsam mit der CDU mit der Einführung der Zweidrittelmehrheit verhindern. „Dass jetzt ausgerechnet die CDU das aus reinem Machtkalkül wieder abschafft, macht mich schlicht fassungslos. Dieser Wortbruch der CDU wiegt schwer“, so Rock.
Akt 3: Sondervermögen angehäuft
In der Sondersitzung am Samstag befasste sich der Hessische Landtag schließlich in dritter Lesung – und nun mit einer veränderten Gesetzeslage – erneut mit dem von der Landesregierung vorgelegten Gesetz über das Sondervermögen namens „Hessens gute Zukunft sichern“. Auch ein weiterer Nachtragshaushalt sollte beschlossen werden. Während das von der Regierung genannte „Gute-Zukunft-Sicherungsgesetz“ also das Sondervermögen und seine Details regelt – unter anderem, dass die Kreditermächtigung von bis zu 12 Milliarden Euro erteilt wird sowie Ausgaben aus dem Sondervermögen bis Ende 2023 geleistet werden können – beinhaltet der zweite Nachtragshaushalt eine Kreditaufnahme in Höhe von knapp 1,7 Milliarden Euro, die bis Ende des Jahres gelten soll. Die Oppositionsfraktionen von FDP und SPD hatten mehrere Änderungsanträge für den Nachtragshaushalt vorgelegt, um die jetzt notwendigen Hilfen zur Bewältigung der Corona-Krise zu leisten.
„Es geht um Hilfen für die Wirtschaft, für Branchen – wie die Veranstaltungsbranche – denen förmlich der Boden unter den Füßen weggezogen wurde, denen aktuell die Perspektiven fehlen“, verdeutlichte Marion Schardt-Sauer. „Die Landesregierung möchte nach eigenen Angaben Hessen ökologischer und digitaler machen und die Gesellschaft zusammenhalten. Darunter kann ich viel verstehen, aber mit der erforderlichen Notsituation hat das absolut nichts zu tun. Warum Schwarz-Grün heute schon zu wissen glaubt, dass die Coronakrise ausgerechnet bis zum Ende der Wahlperiode anhält, konnte uns kein Vertreter der Koalition erklären“, ergänzte sie. Die haushaltspolitische Sprecherin der Freien Demokraten erwartet, dass auch in den kommenden Jahren weiter Hilfen für die Bewältigung der Folgen der Corona-Krise notwendig werden. Aus ihrer Sicht seien Nachtragshaushalte dazu aber das geeignetere Instrument und ein Sondervermögen nicht notwendig. In namentlicher Abstimmung wurde dieses jedoch schließlich mit den Stimmen von CDU und Grünen verabschiedet und zum Gesetz erhoben.
„Damit lasten CDU und Grüne kommenden Generationen eine schwere Bürde auf. Eine schwere Bürde, die die nächsten 30 Jahre und wahrscheinlich darüber hinaus Auswirkungen auf die Finanzlage dieses Landes haben wird. Es ist das Ende eines spektakulären Sonderwegs, wo Parlamentsrechte geschliffen und Verfassungsrecht gedehnt werden musste. Nur damit Schwarz-Grün bis zum Ende der Wahlperiode eine voll Schatzkiste hat“, fasste Schardt-Sauer am Ende des Tages zusammen.
Die Freien Demokraten haben angekündigt, rechtlich prüfen zu wollen, ob das schwarz-grüne Sondervermögen in Verbindung mit der Erklärung der Notsituation für vier Jahre in Folge mit der Verfassung vereinbar ist. Aus ihrer Sicht sei die Koalition aus CDU und Grünen einen rechtlich sehr unsicheren Weg gegangen. Demgegenüber wäre der gemeinsame Vorschlag von FDP und SPD für einen weiteren Nachtragshaushalt mit und für Maßnahmen, die einen Corona-Check bestehen, solide, rechtssicher, schnell, generationengerecht und zielgenau gewesen.
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