Kitas & Corona: Wie geht es weiter mit den Öffnungen?
Nachdem sich Eltern, Kita-Träger und Kommunen darauf eingestellt hatten, dass Hessens Kindertagesstätten ab dem 2. Juni wieder in den eingeschränkten Regelbetrieb zurückkehren, kündigte Sozialminister Kai Klose in der vergangenen Woche an, dass diese auch über diesen Termin hinaus nach dem Infektionsschutzgesetz arbeiten sollen. Das bedeutet, dass das Betreuungsverbot bestehen bleibt und auch weiterhin nur ausgewählte Kinder betreut werden dürfen. De facto dürfen Hessens Kitas also nicht für alle Kinder geöffnet werden – es gilt also eine Notbetreuung plus.
„Der Sozialminister wälzt die Verantwortung der Wiedereröffnung vollständig auf die Kita-Träger und damit vor allem auf die Kommunen ab. Eltern müssen neu planen, und Kindern werden weiter Bildung und soziale Kontakte vorenthalten. Der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz wird nicht erfüllt,“
ärgerte sich René Rock, Fraktionsvorsitzender und Sprecher für Frühkindliche Bildung. Die Fraktion der Freien Demokraten im Hessischen Landtag hat bereits mehrfach Forderungen zur schrittweisen Öffnung der Kitas für alle Kinder sowie nach Musterplänen für Hygiene und Pädagogik geäußert sowie ein eigenes Konzept aufgestellt, wie allen Kindern das Recht auf Bildung gewährleistet werden kann. Dieses wollen wir im Folgenden erläutern.
Allen Kindern das Recht auf Bildung gewährleisten
In den letzten Jahren gab es einen deutlichen Ausbau der Kindertagesbetreuung und damit einhergehend einen Zuwachs der Bildungsbeteiligungsquoten. In gut 4.000 Kitas in Hessen bilden und betreuen mittlerweile rund 49.000 pädagogisch Tätige und in den Kindertagespflegestellen noch einmal knapp 2.900 Kindertagespflegepersonen über 280.000 Kinder (Quelle: Statistisches Landesamt).
Die Kindertagesstätte ist für die meisten Kinder in Hessen die erste Bildungseinrichtung und hat einen enormen Einfluss auf deren Bildungsbiographie. Zahlreiche Studien zeigen, wie wichtig der Kita-Besuch beispielsweise für Kompetenzen in Sprache und Schriftsprache, das mathematische Verständnis, aber auch nicht-kognitive Fähigkeiten wie Durchsetzungsfähigkeit und Offenheit für Neues ist. Die Kindertagesstätten gewähren also den Jüngsten in Deutschland ihr Recht auf Bildung sowie ihr Recht auf Spiel, Freizeit und Erholung.
Die Gewährung dieser Rechte leidet jedoch außerordentlich unter den derzeitigen Bedingungen der Coronakrise und den damit einhergehenden Betretungsverboten der Kindertagesstätten. Sie wurden bei den bisher erfolgten Überlegungen zu einer stufenweisen Öffnung der Kinderbetreuung nur unzureichend beachtet.
Zudem ist für viele Eltern die gegenwärtige Situation, zeitgleich die Betreuung der Kinder sicherzustellen und einem Beruf nachzugehen, eine große Belastung, unter der die frühkindliche Bildung und Erziehung der Kinder zusätzlich leiden kann. In Deutschland ist in rund 64 Prozent der Haushalte mit Kindern bis 14 Jahren jeder Erwachsene erwerbstätig. Kindertagesstätten und Einrichtungen der Kindertagespflege haben für Kinder und Familien also nicht nur eine Bildungs- und Erziehungs- sondern auch eine Betreuungsrelevanz.
Statt die Notbetreuung schrittweise auszubauen, wie es die schwarz-grüne Landesregierung aktuell macht, sieht das Konzept der Freien Demokraten vor, dass der eingeschränkte Regelbetrieb schnellstmöglich aufgenommen und somit der Rechtsanspruch auf Betreuung wieder erfüllt werden kann.
Bei der hier folgenden Abwägung werden das Kindeswohl und das Recht der Kinder auf Bildung, aber auch der Elternbedarf und der Gesundheitsschutz der Beschäftigten berücksichtigt.
Öffnung in vier Phasen – Unser Konzept für Hessens Kitas
Die derzeit geltenden Einschränkungen der Kinderbetreuung erfolgen auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes. Der in SGB VIII § 24 verbürgte Anspruch auf Betreuung sollte jedoch so schnell wie möglich wieder gelten und die Vorbereitungen des Übergangs von Phase 2 zu Phase 3 daher unverzüglich beginnen. Dabei sind länderspezifische Regelungen gegenüber einer bundeseinheitlichen Regelung zu bevorzugen, weil so unterschiedliche Ausprägungen der Pandemie berücksichtigt werden können. Allen Phasen vorausgehend gilt, dass bei der stufenweisen Öffnung das Infektionsgeschehen immer im Blick behalten werden muss. Sollte aufgrund gestiegener Fallzahlen ein erhöhtes infektiologisches Risiko in der jeweiligen Einrichtung bestehen, kann die Öffnung auf frühere Schritte zurückgeführt werden. Die Entscheidung trifft das zuständige Gesundheitsamt.
Erste Phase: Eingeschränkte Notbetreuung
Hessen erließ auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes am 16.03.2020 ein Betreuungsverbot für Kindertagesstätten und Einrichtungen der Kindertagespflege. In den Kindertagesstätten wurde eine Notbetreuung eingerichtet. Die Definition der Gruppen, die eine Notbetreuung in Anspruch nehmen konnten, wurde sukzessive erweitert, aber vor dem Kriterium der Systemrelevanz der Berufe durchgehend eng gefasst.
Zweite Phase: Flexible und stufenweise Erweiterung der Notbetreuung
Die Betretungsverbote und gegebenenfalls Schließungen der Einrichtungen bleiben mit der Verordnung vom 16.04.2020 grundsätzlich bestehen. Grundlage der Betreuung sind weiterhin die Regelungen des Infektionsschutzgesetzes. Die Gruppen, die Anspruch auf eine Notbetreuung haben, wurden erweitert. Seither dürfen zum Beispiel auch Kinder von Alleinerziehenden betreut werden.
Dritte Phase: Eingeschränkter Regelbetrieb
Der Rechtsanspruch auf Betreuung gemäß § 24 SGB VIII wird nicht länger durch das Infektionsschutzgesetz eingeschränkt. Alle Eltern haben einen Anspruch auf die Betreuung ihrer Kinder in einer Kindertageseinrichtung bzw. einer Einrichtung der Kindertagespflege. Die Vorbereitungen für diese schrittweise Rückkehr in den Normalbetrieb sollten umgehend starten.
Als Grundlage für die schrittweise Öffnung der Kinderbetreuung müssen die Einrichtungen Konzepte zum Gesundheitsschutz erarbeiten. Dabei formuliert das HMSI objektive Kriterien als Handreichung für die Kommunen (Musterhygieneplan), die dann lokal angepasst zu Konzepten ausgearbeitet werden. Die Träger der Jugendhilfe müssen die Konzepte der einzelnen Einrichtungen genehmigen. Die Konzepte berücksichtigen u.a. die Ausstattung mit Desinfektionsmittel, Einmalhandschuhen, einen Vorrat an Schutzvisieren und ein angepasstes Reinigungskonzept. Passenden räumlichen Voraussetzungen und ausreichend zur Verfügung stehendem Personal kommt bei der Entscheidung der stufenweisen Öffnung ein Primat zu. Kindertagesstätten mit offenen Konzepten müssen wieder zu geschlossenen Konzepten umgewandelt werden. Zudem müssen pädagogische Konzepte zur Einübung des Gesundheitsschutzes beachtet werden.
Kinder brauchen Körperkontakt und das körperlich aktive Spiel. Eltern und Erzieher müssen jedoch untereinander die Abstandregeln einhalten, um eine Ansteckungsgefahr zu vermeiden. Die Erzieherinnen und Erzieher der Einrichtungen werden regelmäßig getestet.
Zur Unterstützung der Einrichtungen, aber auch der einzelnen Erzieherinnen und Erzieher, vergibt das Land den Auftrag, ein pädagogisches Musterkonzept für die schrittweise Öffnung der Kindertagesstätten zu erarbeiten, das die Einrichtungen bei Bedarf nutzen können. Für die Erzieherinnen und Erzieher werden auf Grundlage dieses Konzepts Videokonferenzen zur Schulung angeboten, um sie auch pädagogisch optimal auf die Öffnung vorzubereiten.
Bei der schrittweisen Öffnung der Kindertagesstätten wird landesweit eine Gruppengröße von zwölf Kindern mit jeweils zwei ErzieherInnen als Richtwert vorgegeben – eine begründete Abweichung ist möglich. Die Aufteilung der Gruppen erfolgt nach pädagogischen Gesichtspunkten. Der wiederhergestellte Anspruch auf Betreuung gilt zunächst für den Ü-3 Bereich. Eine Ausweitung der Betreuung auf den U3-Bereich steht den Einrichtungen frei, sofern die räumlichen und personellen Vorgaben beachtet werden.
Die unterschiedlichen Kontingente der Kinder können in einem rollierenden System betreut werden und wechseln täglich oder mehrtäglich. Zeitliche Priorität sollte den Kindern zukommen, die vor dem Wechsel in die Grundschule stehen und den jeweiligen Geschwisterkindern. Sie können beispielsweise an zwei Tagen in der Woche wieder die Kindertagesstätte besuchen. Durch dieses System wird die Betreuung der Kinder zwar zeitlich angepasst, allen Kindern jedoch ihr Recht auf Bildung, Spiel und Freizeit gewährt.
Auch für die Kindertagespflege sollte das Betreuungsverbot aufgehoben werden. Die Richtgröße sollte hier bei 3 Kindern liegen.
Die schrittweise Öffnung der Kindertagesstätten muss verlässlich sein, das heißt, Eltern müssen im Vorfeld informiert und die Betreuungstage nach Möglichkeit konstant gehalten werden. Geltende Regelungen für die Notbetreuung bleiben von den hier vorgesehenen schrittweisen Öffnungen zunächst unberührt – diese Kinder haben weiterhin den vollen Betreuungsanspruch. Die Gruppen der Notbetreuung müssen räumlich und personell getrennt von den anderen Gruppen betreut werden.
Kinder, die aufgrund des Stands ihrer geistigen, körperlichen und motorischen oder emotionalen und sozialen Entwicklung nicht in der Lage sind, notwendige Hygienemaßnahmen einzuhalten, bleiben der Betreuung zunächst weiter fern. Zudem sollten Kinder, die selber einer Risikogruppe angehören, oder mit Angehörigen einer Risikogruppe in einem Haushalt leben, von ihrem Anspruch auf Betreuung Abstand nehmen.
Die schrittweise Öffnung der Kindertagesstätten und der Kindertagespflege muss wissenschaftlich begleitet werden. Anhand dieser Erkenntnisse werden die schrittweisen Öffnungen fortlaufend ausgewertet und die Kapazitäten regelmäßig erhöht.
Vierte Phase: Der vollständige Regelbetrieb
Die gesamtgesellschaftliche Lage hat sich weitgehend normalisiert und dem Betreuungsanspruch der Eltern kann wieder umfassend stattgegeben werden. Aus den in der Krise gemachten Erfahrungen sollte gelernt werden. Die für die Wiederaufnahme erarbeiteten pädagogischen Konzepte für die Einübung von Hygienemaßnahmen zum Gesundheitsschutz sollten nachhaltig implementiert werden. Zudem ist das Recht der Kinder auch auf frühkindliche Bildung bei zukünftigen Einschränkungen der Kinderbetreuung immer mitzubedenken.