In Kernfragen nicht entscheidungsfähig

27.06.2016

Die erste Halbzeit der Legislaturperiode neigt sich langsam aber sicher dem Ende. Die „Wohlfühlkoalition“ aus CDU und Grüne hat mittlerweile tiefe Risse erfahren – das ist nach der vergangenen Plenarwoche noch offensichtlicher als zuvor. Kernfragen, wie das Verhalten bei der Abstimmung über die Erweiterung der sicheren Herkunftsländer, werden gar nicht erst aufgegriffen. Schließlich ist man sich hier nur über seine Uneinigkeit einig. Kein Wunder also, dass die Landesregierung lieber auf Themen wie eine „Digitale Agenda für das Recht“ setzt.

 

Schwarz-Grün muss endlich Farbe bekennen

DSC_0219

Über die Erweiterung der sicheren Herkunftsländer auf die Maghreb-Staaten hätte eigentlich bereits entschieden sein sollen. Im Bundestag ist das Gesetz längst verabschiedet. Die Abstimmung im Bundesrat war für die vorvergangene Woche angesetzt. Doch nur einen Abend zuvor wurde sie vertagt. Schuld daran sind die Grünen – auch die in Hessen. Ihr Parteirat hatte den Beschluss gefasst, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung in der vorliegenden Form „nicht zustimmungsfähig“ sei. Und stieß damit der Hessen-CDU und insbesondere dem Ministerpräsidenten vor den Kopf. Denn der Entwurf  trägt auch die Handschrift Bouffiers.

Mehrmals hatten wir die Landesregierung dazu aufgefordert, den Landtag und die Öffentlichkeit über ihre Position in dieser Angelegenheit zu informieren – zuletzt in der letzten Sitzung des Innenausschusses. Doch auch hier waren sich die beiden Fraktionen nur darüber einig, dass sie sich uneinig sind. Und selbst auf dem Parteitag der Hessen-CDU am vorvergangenen Wochenende wurde das Thema einfach ausgeblendet. Aus diesem Grund haben wir das Thema in dieser Plenarwoche erneut auf die Tagesordnung gesetzt.

„Dass bei strittigen Themen zwischen Koalitionspartnern durchaus ein intensiver Abstimmungs- und Beratungsprozess notwendig sein kann, ist ohne Zweifel nachvollziehbar. Das seit Monaten andauernde Lavieren und Taktieren von Union und Grünen bei der Frage der Erweiterung der sicheren Herkunftsländer ist hingegen ein bisher einmaliger Vorgang, der deutlich belegt, wie tief die Risse mittlerweile in der einstigen Wohlfühlkoalition sind. Da es weder Union und Grüne für nötig halten, die Bürgerinnen und Bürger ausführlich und verlässlich über den Stand der Beratungen und sich abzeichnende Lösungen zu informieren, kann man nur erahnen, dass hinter verschlossenen Türen nunmehr nur noch um parteipolitische Deals verhandelt wird. Immerhin hatten die beiden Partner für die Verhandlungen bereits mehrere Monate Zeit, so dass längst jedes Sachargument ausgetauscht worden sein dürfte“, betonte Florian Rentsch in der Debatte. „Wir werden die Koalition und Ministerpräsident Bouffier nicht aus der Pflicht lassen“, mahnte Rentsch. Für uns steht fest, dass die parteitaktischen Spielchen ein Ende haben müssen und eine klare Entscheidung feststehen und kommuniziert werden muss. Schließlich ist es angesichts der geringen Zahl der Asylberechtigten von deutlich unter einem Prozent aus Tunesien, Algerien und Marokko schlicht falsch, die Erweiterung der sicheren Herkunftsländer zu blockieren. Bouffier ist jetzt gefordert, sich gegenüber dem Koalitionspartner durchzusetzen. Die Ausrichtung seiner Landesregierung darf er sich nicht vom grünen Parteirat diktieren lassen.

 

Änderungen der EEG-Novelle nicht ausreichend

Energie

Mittlerweile hat es auch der Bundeswirtschaftsminister erkannt: ihm geht die Energiewende zu schnell. Weite Teile Hessens wurden offiziell als Netzengpassgebiet eingestuft, deshalb will er den Windkraftausbau hierzulande deutlich drosseln. Doch das hindert Hessens Wirtschaftsminister Al-Wazir selbstverständlich nicht daran, seine Politik unbeirrt fortzusetzen: Er setzt weiter auf die Windkraft und vertritt offenkundig lieber die Interessen der Windkraft-Lobby, als das Gemeinwohl. Welchen volkswirtschaftlichen Sinn macht es aber, Strom zu erzeugen, der aufgrund fehlender Leitungen nicht aufgenommen werden kann?

Denn schon heute sind die Stromnetze völlig überlastet. Von mehr als 6.100 Kilometer Stromleitungen, die laut Bundesnetzagentur notwendig wären, liegen erst 65 Kilometer. Im ersten Quartal 2016 kamen gerade mal 6 Kilometer dazu. Folglich ist bisher erst rund 1,1 % des notwendigen Netzausbaus umgesetzt worden.

Auch die jüngst zwischen Bund und Ländern ausgehandelte Novelle des Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG) wird diese grundlegenden Probleme der deutschen Energiepolitik nicht lösen. Vor diesem Hintergrund haben wir dem Landtag in dieser Woche einen umfangreichen Antrag vorgelegt, mit dem wir unsere Forderung nach einem Stopp des ungezügelten Windkraftausbaus in Hessen nochmals bekräftigen. In der Debatte machte René Rock klar: „Die Energiewendepolitik ist technisch und wirtschaftlich gescheitert und stößt auf immer mehr Widerstand bei den Bürgern.  Ohne Sinn und Verstand werden subventionsgetrieben Windkraftanlagen errichtet, obwohl die Stromnetze fehlen und konventionelle Kraftwerke die Stromversorgung sicherstellen müssen. Verbraucher zahlen nicht nur die EEG-Umlage auf Rekordniveau, sie müssen zusätzlich auch Milliardenbeträge für die Stromnetzstabilisierung bezahlen. Auf höhere Belastungen müssen sich insbesondere auch energieintensive Unternehmen einstellen, wo Arbeitsplätze und Investitionen auf dem Spiel stehen.“

 

Lehrerfortbildung verbessern, Unterrichtsausfall vermindern

Fortbildungsveranstaltungen für Lehrerinnen und Lehrer werden in Hessen überwiegend während der Unterrichtszeit angeboten. Dies hat in der jüngeren Vergangenheit zu massiven Beschwerden und zu mehreren Petitionen, die den Hessischen Landtag erreichten, geführt. Denn einerseits können die Fortbildungsangebote nicht ausreichend genutzt werden, andererseits fallen fast 350.000 Unterrichtsstunden jedes Schuljahr aus und der Schulbetrieb wird entsprechend beeinträchtigt, wie Wolfgang Greilich erklärte: „Im Gespräch mit Lehrerinnen und Lehrern wird immer wieder beklagt, dass man guten Gewissens an sich notwendige Fortbildungen nicht in Anspruch nehmen könne, wenn man nicht andererseits den Unterricht durch Ausfall von Stunden vernachlässigen wolle. Die Verantwortung, sich fortzubilden, kollidiere durch die unzureichenden Fortbildungsangebote außerhalb der Unterrichtszeit mit der als selbstverständlich empfundenen Verantwortung für die Gewährleistung des Unterrichtes.“

Zwar schreibt das Hessische Lehrerbildungsgesetz ausdrücklich vor, dass Fortbildungen in der Regel in der unterrichtsfreien Zeit – nach Definition der Kultusbürokratie also nach 14 Uhr – stattfinden sollen, doch die gängige Praxis sieht anders aus. Der Ausnahmetatbestand wird häufig zum Regelfall. Das ist weder im Interesse der Lehrkräfte noch im Interesse der Schülerinnen und Schüler.

Aus diesem Grund haben wir einen Gesetzentwurf vorgelegt, den Wolfgang Greilich in der Plenarsitzung am Mittwoch einbrachte: „Wir halten es für geboten, den bestehenden Gesetzesbefehl zu verstärken. Wir streben eine Klarstellung an, um deutlicher herauszustellen, dass Fortbildungen eben nur ausnahmsweise während der Unterrichtszeit stattfinden sollten, dann nämlich, wenn dies besonders begründet ist. Dabei wollen wir keineswegs, dass Fortbildungsveranstaltungen nur am Wochenende und in den Ferien stattfinden, sondern vor allem auch nachmittags.“

Die Fortbildungsangebote nützen der Unterrichtsqualität dann in doppelter Hinsicht: sie erlauben es den engagierten Lehrerinnen und Lehrern, sich ohne Vernachlässigung des Unterrichts fortzubilden und reduzieren gleichzeitig den Unterrichtsausfall.

 

Folgenreicher Brexit auch für Hessen

Gespannt blickte ganz Europa in dieser Woche auf Großbritannien – auch die im Landtag vertretenen Parteien. Gemeinsam mit den Fraktionen von CDU, SPD und Grünen haben wir uns für den Verbleib der Briten in der EU ausgesprochen und in der Debatte am Mittwoch nochmal eindringlich an sie appelliert, die EU nicht zu verlassen. Umso bedauerlicher ist es, dass sich die Briten am Donnerstag anders entschieden haben.

201602 Brexit_HP

Der Brexit wird nicht nur für die Briten weitreichende Folgen haben, sondern auch für Hessen. Unser Land verliert einen wichtigen und insbesondere stark marktwirtschaftlich orientierten Handelspartner. Allein im vergangenen Jahr konnten Hessens Unternehmen 4,5 Milliarden Euro durch Exporte ins Vereinigte Königreich umsetzen – das sind mehr als 8 % der Gesamtexporte. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu Großbritannien haben bis dato also auch hessische Arbeitsplätze gesichert.

Europa wird sich also verändern. Europa wird sich vor allem aber verändern müssen, wie Nicola Beer in der Landtagsdebatte konstatierte: „Die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in die politische Handlungsfähigkeit der EU befindet sich in einer schweren Krise. Europa ist nicht fehlerfrei – aber die Europäische Union ist ein Erfolgsprojekt, dass Frieden und Wohlstand für die europäischen Bürger sichert. Umso wichtiger ist es, dass wir Europa neu denken und das Haus Europa sanieren. Die EU wird sich verändern müssen, um das Vertrauen ihrer Bürger zurückzugewinnen.“

Antrag der Fraktionen von CDU, der SPD, BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und der FDP betreffend Großbritannien ist wichtiger Teil der Europäischen Union – Drucks. 19/3509

 

Regierung zieht fehlerhafte Schlüsse bei Biblis-Stilllegung

Wer trägt die Verantwortung für die rechtswidrige Stilllegung des Kernkraftwerks Biblis? Um dies aufzuarbeiten wurde im April 2014 der Untersuchungsausschuss 19/1 eingesetzt. Nach mehr als zwei Jahren intensiver Arbeit und zahlreichen Zeugenvernehmungen – unter anderem von Bundeskanzlerin Angela Merkel – ziehen die Regierungsfraktionen fehlerhafte Schlüsse. Das geht zumindest aus dem von Berichterstatter Frank-Peter Kaufmann (Bündnis 90/Die Grünen) vorgelegten Abschlussbericht hervor, den der Hessische Landtag in seiner Sitzung am Mittwoch verabschieden sollte. „Die Erkenntnisse, die der Ausschuss in seiner Arbeit gewonnen hat, werden hier schlicht und einfach unzutreffend dargestellt“, stellte René Rock, der die Freien Demokraten im Biblis-UNA vertreten hatte, fest: „Für uns ist es nicht hinnehmbar, dass Aussagen und Geschehnisse bewusst von der schwarz-grünen Mehrheit in den falschen Kontext gesetzt und in nicht vertretbarer Art und Weise einseitig interpretiert werden.  Statt die eigentliche Aufgabe eines Untersuchungsausschusses zu leisten, nämlich objektive Aufklärung der Sachzusammenhänge zu betreiben, verfolgen Union und Grüne mit dem Bericht ein sehr durchschaubares Ziel:  Die seinerzeit im Zuge der Umsetzung des Moratoriums falsch getroffenen politischen Entscheidungen sollen im Nachhinein schöngeredet und die Verantwortung für zweifelsfrei festgestellte Fehler alleine dem Bund zugeschoben werden.“ Aus diesen Gründen hielten wir es für zwingend erforderlich, einen eigenen abweichenden Bericht vorzulegen. Denn für uns steht fest, dass das seinerzeit von einem breiten politischen Konsens getragene Moratorium in Hessen handwerklich äußerst mangelhaft umgesetzt worden ist. „Diese fehlerhafte Umsetzung liegt im Wesentlichen im Verantwortungsbereich der damaligen Hausspitze des Umweltministeriums“, machte Rock klar. So war es die persönliche Entscheidung der damaligen Umweltministerin Puttrich, auf eine Anhörung des Betreibers RWE zu verzichten – das ist nach den Erkenntnissen, die wir im Untersuchungsausschuss gewinnen konnten, mehr als klar geworden.

Ob RWE deswegen letztlich einen Schadenersatz geltend machen kann, in welcher Höhe dieser ausfällt und ob das Land Hessen, der Bund oder womöglich beide haften müssen, war nicht Gegenstand des Untersuchungsausschusses. Darüber werden ohnehin die zuständigen Gerichte entscheiden. Doch durch ihr Verhalten haben das Umweltministerium und der Ministerpräsident nicht dazu beigetragen, dass frühzeitig klare Verhältnisse geschaffen sowie bestehende und bekannte Risiken wenigstens minimiert wurden.

 

Digitale Agenda für das Recht

Die digitale Revolution übertrifft alle bisherigen technologischen Sprünge in ihrer Geschwindigkeit und in ihren Auswirkungen. Kein Bereich wird davon ausgenommen sein – weder Gesellschaft, Staat, Politik noch das Recht. So begrüßen wir, dass Justizministerin Eva Kühne-Hörmann im Rahmen ihrer Regierungserkläung eine „Digitale Agenda für das Recht“ angekündigt hat. Denn gerade im Rechtsbereich gilt es, die richtigen Antworten auf neue technische Möglichkeiten und Chancen zu finden, um einerseits mit den Entwicklungen der Digitalisierung Schritt zu halten und anderseits die Rechte der Bürgerinnen und Bürger effektiv zu schützen.

Doch unter der weittragenden Überschrift „Digitale Agenda für das Recht“ hätten wir uns durchaus mehr erwartet, als das was die Ministerin präsentiert hat. „Auch wenn die Initiative durchaus passable Ansätze zeigt und einige wichtige Punkte benennt, bleiben die skizzierten Maßnahmen letztlich doch bloß Stückwerk. Es fehlt ein ganzheitliches Konzept“, fasste Florian Rentsch in seiner Rede zusammen. So hat die Ministerin vor allem Maßnahmen im Blick, um Internetkriminalität zu bekämpfen, zur neuen EU-Datenschutz-Grundverordnung verliert sie jedoch kein Wort – obwohl hier ein erheblicher Anpassungsbedarf auf Bundes- und Landesebene besteht. „Statt sich eingehend mit dem Datenschutz der Zukunft zu befassen, hört man nur die Forderung nach der Erhebung von immer mehr Daten, ohne jedoch die Frage zu beantworten, wer diese überhaupt auswerten soll“, kristisierte Rentsch. Er forderte die Landesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass eine effektive Strafverfolgung in Hessen sichergestellt bleibt: „Auch das beste Strafrecht nutzt wenig, wenn die Polizei aufgrund der personellen und sachlichen Ausstattung die Taten nicht verfolgen kann. Vor diesem Hintergrund sind die Stellenstreichungen im Bereich der Polizeiverwaltung ein fatales Zeichen, da die Verwaltungsaufgaben dadurch wieder durch den Vollzugsdienst erledigt werden müssen.“

Statt sich jedoch mit dem Thema Datenschutz auseinanderzusetzen, versuchte Kühne-Hörmann in ihrer Regierungserklärung einen aktuellen Bezug zu den gewalttätigen Ausschreitungen am Rande der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich herzustellen und forderte, eine Ausreiseverfügung für Fußball-Hooligans mittels elektronischer Fußfesseln durchzusetzen und die Fussball-Europameisterschaft insgesamt zur Schutzzone zu erklären. Das erinnert uns irgendwie an das sehr unglückliche Agieren der Stadt Darmstadt im Vorfeld des Hessenderbys zwischen dem SV Darmstadt 98 und Eintracht Frankfurt. Rentsch erinnerte die Ministerin deshalb daran, dass „eine grundrechtseinschränkende Maßnahme stets erforderlich, angemessen und verhältnismäßig sein muss – das sollte gerade eine Justizministerin wissen.“